“Gesundheitssystem braucht frisches Geld”

30.12.2024 • 15:25 Uhr
"Gesundheitssystem braucht frisches Geld"
Bald wird das Namensschild ausgewechselt. Manfred Brunner freut sich indes auf mehr Zeit für seine Hobbys, wie das Wandern, und die Familie. VN/Steurer

Der scheidende ÖGK-Landesstellenvorsitzende Manfred Brunner hält es mit dem Buch „Vom richtigen Zeitpunkt“.

Dornbirn Ein kleines Abschiedsfest noch für die engsten Mitarbeitenden, dann wird Manfred Brunner (62) Diensthandy und Büroschlüssel abgeben. Nach 20 Jahren verabschiedet sich das Gesicht der Sozialversicherung im Land endgültig aus dem aktiven Berufsleben. Der Höchster hat in dieser Funktion viele Sträuße ausgefochten, besonders nach der ungeliebten Kassenfusion, dabei aber nie das Verbindende aus den Augen verloren.

Wie bilanzieren Sie nach 20 Jahren VGKK bzw. ÖGK?

Brunner Ich blicke zufrieden zurück. Ich denke, dass ich einiges umsetzen konnte für die Menschen in diesem Land und gute Gesundheitsprojekte weitergebracht habe. Es gibt das Buch „Vom richtigen Zeitpunkt“. Der ist für mich jetzt gekommen, und ich freue mich darauf, Neues anzugehen.

Welche Gesundheitsprojekte erscheinen Ihnen besonders wichtig?

Brunner Ich durfte für die Sozialversicherungen die Verhandlungen für die Einführung des Brustkrebsfrüherkennungsprogramms führen und in Vorarlberg die Darmkrebsvorsorge vorantreiben. Es gab auch viele kleine Projekte, die für Betroffene jedoch große Wirkung haben, wie die mobile Kinderkrankenpflege, die Diabetesambulanzen und ganz aktuell die Wundversorgung über die Hauskrankenpflege.

Es fließt sehr viel Geld in das System, dennoch gibt es immer wieder Kritik.

Brunner Ein wesentlicher Grund ist das ausgeprägte Inanspruchnahme-Verhalten. Wir haben in Österreich nicht zu wenig Ärzte. Im Gegenteil, da sind wir Weltmeister. Allein in Vorarlberg konnten heuer sieben neue Arzt- und zehn Job-Sharing-Stellen geschaffen werden, trotzdem fühlen sich die Menschen unzureichend versorgt, klagen über Wartezeiten. Da geht es schon auch um die Frage des Umgangs mit den Ressourcen. Jeder hat einen Anteil daran, ob wir mit damit auskommen oder nicht. Zudem ist auch Geld nicht unendlich vorhanden.

Warum ist die Entwicklung so, wie sie ist?

Brunner Wir haben einen sehr lockeren Zugang zu allen Ebenen der Versorgung. Ich kann in jede Ambulanz oder direkt zum Facharzt gehen. Das ist auf der einen Seite verführerisch, auf der anderen bindet es Ressourcen, die in der Folge oft überlastet sind. Geht es nicht freiwillig, braucht es eine stärkere Patientensteuerung.

"Gesundheitssystem braucht frisches Geld"
Projekte für Kinder wie die Initiative “Gesund aufwachsen” waren Manfred Brunner ein besonderes Anliegen.

War es zu VGKK-Zeiten einfacher, Projekte durchzubringen, als jetzt, wo das Geld noch knapper ist?

Brunner Es war in der Krankenversicherung finanziell immer eng. Früher waren wir aber schneller in der Umsetzung von Projekten. Das hat sich verändert. Es wird alles sehr komplex und rigide von oben regiert. Die Prozesse sind aufwendig. Ich bin ein Verfechter von Regionalität und Eigenverantwortung. Zentralismus hat einer Gesellschaft noch nie wirklich genutzt. Man kann Verwaltungsprozesse vereinheitlichen, aber im Leistungs-, Finanz- und Personalbereich wäre mehr Regionalität notwendig und würde das Gesundheitssystem schneller weiterbringen.

Ärgert Sie die Kassenfusion immer noch?

Brunner In Bezug auf die vorher erwähnten Bereiche: Ja.

Sie waren trotzdem in der Kritik nie leise. Wie kam das an in Wien?

Brunner Ich war nie leise, das stimmt, auf der anderen Seite aber auch immer verbindend verbindlich. Deshalb ist es trotz allem gelungen, das eine oder andere Vorhaben für Vorarlberg zu realisieren. Gerade 2024 haben wir die Zustimmung zu sehr wichtigen Projekten erhalten, wie etwa dem Mutterschutzmodell für Ärztinnen.

"Gesundheitssystem braucht frisches Geld"
Manfred Brunner war so etwas wie das Gesicht der Sozialversicherung im Land.

Vorarlberg war immer schon sehr innovativ. Könnt das ein Grund sein?

Brunner In Wien weiß man, wenn in Vorarlberg etwas probiert wird, funktioniert es meistens. Wir waren für viele Projekte deshalb Pilotregion, etwa für die 1450 oder die Einführung der E-Medikation. Wir haben eine tragfähige Partnerschaft mit unseren Gesundheitsdienstleistern, sodass wir stets rasch ins Tun kommen. Deshalb hat man uns in Wien quasi als Umsetzer gebraucht.

Die Darmkrebsvorsorge konnte noch nicht auf ganz Österreich ausgerollt werden. Ein Wermutstropfen in Ihrer Bilanz?

Brunner Ja, schon, wenn man bedenkt, wie gut und wichtig das Brustkrebsfrüherkennungsprogramm, das österreichweit läuft, ist, kann man sich ausrechnen, wie viel Nutzen das Darmkrebsprogramm bringen würde. Wir sind stolz darauf, dass wir dieses Programm, von dem viele tausend Versicherte schon profitierten, haben, aber eine Ausrollung wäre natürlich sinnvoll.

Die finanzielle Bilanz der ÖGK ist nicht eben gut.

Brunner Geld war immer knapp und wird knapp bleiben, weil die Beitragshöhe international betrachtet relativ niedrig ist für das Angebot, das wir haben. Dazu kommt, dass sich Medikamente und medizinische Möglichkeiten ständig verbessern, gleichzeitig aber teurer werden. Die demografische Entwicklung der Gesellschaft spielt ebenfalls eine Rolle. Das heißt, man wird über eine bessere finanzielle Ausstattung der Krankenversicherung reden müssen. Es sind sicher Umverteilungen möglich, es wird allerdings auch frisches Geld brauchen.

Wie sieht Ihre persönliche Zukunftsplanung aus?

Brunner Ich werde sicher viel wandern und noch ein bisschen ehrenamtlich im Gesundheitswesen tätig sein. Ich bin Präsident der Stiftung Maria Ebene. Dort wird sehr gute Arbeit für die Patienten und die Prävention geleistet. Die möchte ich noch eine Zeitlang unterstützen.

Zwischenrufe von Ihrer Seite zu ÖGK-Fragen wird es nicht geben?

Brunner Mein Grundsatz lautet: Wenn man weg ist, sollte man auch wegbleiben.

Nachfolge

Dornbirn Mitte Jänner wird im Rahmen einer konstituierenden Sitzung der ÖGK-Landesstelle die Nachfolge von Manfred Brunner geregelt. Wie die VN in Erfahrung bringen konnten, soll Mag. Franz Beck die Agenden als Arbeitnehmervertreter in der ÖGK-Landesstelle übernehmen. Beck ist Leiter der Sozialrechtsabteilung in der Arbeiterkammer Vorarlberg. Ab 1. Jänner 2025 sind zuerst aber wieder die Arbeitgebervertreter mit Christoph Jenny am Wort. Im Juli erfolgt dann der Wechsel.