Gemma Sonne schauen

30.03.2025 • 13:23 Uhr
SONNE / LUFT von Elfriede Jelinek
Elfriede Jelineks packender Theaterabend in Feldkirch entfesselt apokalyptische Sprachkaskaden. Florian Koller by Sarah Mistura

Brigitte Walk präsentierte Elfriede Jelineks „Sonne/Luft“ im Theater am Saumarkt.

Feldkirch Eines gleich vorweg, „here comes the sun“, ein Theaterabend der Superlative! „Ich bin es. Die Sonne tönt nach alter Weise in Brudersphären Wettgesang, deklamieren die drei Protagonisten B (Barbara Novotny), M (Marlene Haagen) und P (Peter Bocek) aus einem graublau métallisé-farbenen Jaguar X-Type, der vor dem Theater am Saumarkt auf einem Podest steht.

SONNE / LUFT von Elfriede Jelinek
Eindrucksvolle Kombination aus scharfsinniger Textadaption und energiegeladener Darbietung.Florian Koller by Sarah Mistura

Was sich zu Beginn wie eine Zeile aus den Meistersingern von Nürnberg anhört, entpuppt sich zunehmend als Hardcore-Version aus der Feder der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin (2004) Elfriede Jelinek, oszillierend zwischen griechischer Mythologie, Existenzphilosophie, Weltuntergangszenarien, Sonnenbaden, Beachyoga und unvorstellbaren Kollateralschäden.

SONNE / LUFT von Elfriede Jelinek

Dem Zuschauer dämmert es spätestens nach: „jeder Flammenwerfer schaut alt aus neben mir. Ich bin die Mutter, aus deren Hand ganze Länder den Tod empfangen“. Die Rede ist von der Sonne, ein Monolog aus der Sicht der Sonne geschrieben und alle drei Schauspieler verkörpern sie. Kein Klagegesang, eine Anklage: „Geht’s noch? Diese Erde haben Sie selbst pulverisiert, und sogar das Pulver ist giftig …, … ich lasse alles auflodern, in Flammen aufgehn und verschwinden …, … ich bin da, um den Menschen Bräune zu geben. Und danach Schwärze …“.

SONNE / LUFT von Elfriede Jelinek

Jetzt wird jedem klar, dass das Ganze sich zu einem Tanz auf dem Vulkan generiert, zu einer Tour de Force, die nur eine Richtung kennt – in den Untergang. Jelinek wettert in Sprachkaskaden von apokalyptischem Ausmaß gegen menschliche Dummheit, Hochmut und Ignoranz, ohne auch nur ein einziges Mal das Wort Klimawandel zu erwähnen. Ein Text, der unter die Haut geht und im Speziellen, wenn er so wie von Brigitte Walk und ihrem Team umgesetzt wird. Sie alle haben nicht nur ganze Arbeit geleistet, sie haben mit dieser Inszenierung Außergewöhnliches abgeliefert.

SONNE / LUFT von Elfriede Jelinek

Allein die Dramaturgie und die Textadaption von Jelineks „Sonne/Luft/Asche“, er umfasst 116 Seiten, auf eine Stunde und 15 Minuten zu trimmen, erforderte von der Dramaturgin Maria Fliri und Regisseurin Brigitte Walk viel Feingespür und Übersicht. Die drei Protagonisten Novotny, Haagen und Bocek agieren mit einer Energie, die es in sich hat, sowohl in ihren Sprech-, als auch in ihren choreografischen- wie Gesangparts. Es ist nicht nur ein Vergnügen ihnen bei ihrer schweißtreibenden Arbeit zuzusehen, es ist ein Traum, wenn auch ein Albtraum, aus dem man nicht mehr Erwachen will.

SONNE / LUFT von Elfriede Jelinek

Um nur eines der Highlights des Abends zu nennen, B polemischer, lautstark und wortmächtig vorgetragene Monolog der Anklage ist nicht nur einer der Hingucker, sondern einer der Hinhörer. Ausstattung, Maske und Kostüme von schlichter Einfachheit, aber perfekt, eindringlich die Musik des Abends, eine Komposition von Martin E. Greil. Just zum Finale des grandiosen Abends machte sich der Klingelton irgendeines Handys im Publikum bemerkbar. Die Schauspielerin Marlene Haagen quittierte das Ganze mit „Das nenn‘ ich timing.“ So muss Theater! Langanhaltender Applaus.

Thomas Schiretz