Geistliche Oper zu einer Hinrichtung

Das Chorseminar Liechtenstein gastierte mit Bachs Johannespassion in Götzis.
Götzis Fünferjahre sind anscheinend Gründerjahre: Nach Concerto Stella Matutina (zwanzig) und der Chorakademie Vorarlberg (dreißig) feierte nun auch das Chorseminar Liechtenstein einen runden Geburtstag. Seit vierzig Jahren führt die Vereinigung von engagierten Laiensängerinnen und -sängern einmal jährlich große Werke der Chorliteratur auf, seit 2002 unter der Leitung von William Maxfield. Für das Jubiläum stand Bachs Johannespassion auf dem Programm, ein Werk, das in Vorarlberg zuletzt 2015 zu hören war, in einer von Publikum und Kritik bejubelten Aufführung mit dem damals neugegründeten Rheintaler Bachchor unter Jürgen Natter.

Heute ist man es gewohnt, Barockmusik auf historischen Instrumenten zu hören. Mit dem Symphonieorchester Liechtenstein wählte Maxfield aber ein Orchester mit modernen Instrumenten, was durchaus zu spannenden Ergebnissen führen kann. Doch beim großen Eingangschor „Herr, unser Herrscher“ (mit ungewohntem Einsatz des Solistenquartetts) war das Klangbild etwas verschwommen und spannungsarm. Das lag nicht nur daran, dass die Einzelstimmen schwerer durch hörbar sind, sondern auch daran, dass vor allem die Streicher eher unengagiert wirkten. In der weiteren Folge verbesserte sich das Orchester, die Bläserinnen und Bläser überzeugten durchwegs. Die Continuogruppe mit Truhenorgel, Laute, Cello und Bass schuf das zuverlässige harmonische Fundament. Der Chor jedoch erfüllte alle Wünsche: Obwohl groß besetzt, klang er immer durchsichtig und unangestrengt, besonders schön im Sopranregister. In den gewaltigen Eingangs- und Schlusschören entfaltete er seine ganze Klangpracht, mit präzisen Einsätzen und ausgewogener Balance zwischen den Stimmgruppen. Besonders innig gelangen die Choräle, die Maxfield mit meditativer Ruhe dirigierte, etwa das abschließende „Ach Herr, lass dein lieb Engelein“. Eine besondere Herausforderung sind in dieser Passion die Turba-Chöre, in denen die Volksmenge Jesus verhöhnt und seinen Tod fordert. Auch hier war der Chor auf den Punkt präsent, aber immer kultiviert, nie erschreckend – eine Entscheidung des Dirigenten.
Überragend als Solist war der österreichische Tenor Michael Nowak, der die anspruchsvolle und strapaziöse Partie des Evangelisten ebenso wie die Arien mit perfekter Textdeutlichkeit und zudem eindringlich und klangschön realisierte. In seiner Arie „Erwäge, wie sein blutgefärbter Rücken“ wurden die barocken Viole d’amore durch zwei Violinen con sordino ersetzt. Huub Claessens, Bass aus den Niederlanden, sang die Rolle des Jesus weniger mit weltenthobener Würde als mit menschlich berührender Dramatik. Der österreichische Bariton Günter Haumer verlieh dem Pilatus markante Konturen und gestaltete seine Arie „Eilt, ihr angefochtnen Seelen“ lebhaft, mit punktgenauen Einwürfen des Chores. Die Schweizer Sopranistin Anna Gschwend sang besonders in ihrer zweiten Arie „Zerfließe, mein Herze“ schön phrasiert und ausdrucksvoll. Ein Höhepunkt an emotionaler Intensität und Gestaltung war das „Es ist vollbracht“ in der Interpretation durch die Vorarlberger Altistin Martina Gmeinder.
Mit einigen Abstrichen beim Orchester gelang Maxfield mit dieser Johannespassion ein würdiges Jubiläumskonzert. Er dirigierte diese kontrastreiche geistliche Oper zu einer Hinrichtung eher verinnerlicht als dramatisch. Das Publikum zeigte sich berührt und dankte mit herzlichem Applaus mit einigen Bravorufen.
Ulrike Längle