Finnische Klanggewalten und nordischer Mythos

Kultur / 27.07.2025 • 16:19 Uhr
2. Orchesterkonzert
Die Wiener Symphoniker verstanden es meisterhaft, der finnischen Klanglandschaft Gestalt und Ausdruck zu verleihen. Bregenzer Festspiele / Christian Lins

Das 2. Orchesterkonzert mit Sebastian Fagerlunds „Drifts” und Jean Sibelius’ „Kullervo”.

Bregenz Beim zweiten Orchesterkonzert der Bregenzer Festspiele standen mit Sebastian Fagerlunds „Drifts” für Orchester und Jean Sibelius’ monumentaler sinfonischer Dichtung „Kullervo” zwei Werke auf dem Programm, die in ihrer klanglichen Wucht ein faszinierendes Panorama finnischer Klangkunst entfalteten.

2. Orchesterkonzert
Jukka-Pekka Saraste (Dirigent. Bregenzer Festspiele / Christian Lins

Schon die ersten Sekunden von Fagerlunds „Drifts” ließen aufhorchen. Wie ein unheilvoll atmender Organismus legten sich dunkle, ineinanderfließende Klangmassen in den Saal – geheimnisvoll, brodelnd und schwerelos. Darüber entwickelte sich eine rhythmisch aufgeladene Textur, die sich in mächtigen Impulsen Bahn brach. Trotz der kurzen Dauer von nur elf Minuten wirkte „Drifts” wie ein kondensiertes Epos, das zwischen epischer Weite und nervöser Dringlichkeit pendelte. Fagerlund, dessen Musik stets im Spannungsfeld von Naturbild, Architektur und Energiefluss steht, offenbarte hier sein ganzes Können. Es ist eine orchestrale Sprache von hoher poetischer Suggestivität, in der der Hörer zugleich das Grollen der Erde und das Flimmern des Lichts zu vernehmen glaubt. Der finnische Dirigent Jukka-Pekka Saraste (69) und die Wiener Symphoniker zeigten sich in jeder Phase diesem Werk gewachsen. Mit präziser Balance und organischem Fluss formte das Orchester eine bewegte Klanglandschaft von unheimlicher, beinah visueller Kraft – ein atmender Körper aus Klang, dessen letzte Töne sich in einem kaum hörbaren Hauch auflösten. Ein Auftakt von hypnotischer Intensität.

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Was dann folgte, war eine Erzählung, ein archaisches Ritual, ein Klangdrama von erschütternder Wucht. Jean Sibelius’ Kullervo, im Jahr 1892 komponiert, ist nicht nur ein frühes Meisterwerk, sondern auch ein klingender Ausdruck finnischer Identität. Die sinfonische Dichtung, deren Text dem „Kalevala”, dem Nationalepos Finnlands, entnommen ist, folgt der tragischen Geschichte eines unversöhnten Helden: Verstoßen, geschändet und von Rache und Selbstzerstörung getrieben. Saraste erwies sich hier einmal mehr als idealer Sachwalter der Musik seines Landsmannes. Mit sicherem Gespür für die tektonischen Kräfte dieser Partitur ließ er die fünf Sätze wie eruptive Klangplatten aufeinandertreffen.

2. Orchesterkonzert
v.l.n.r.: Marjukka Tepponen (Sorpan), Jukka-Pekka Saraste (Dirigent), Ville Rusanen (Bariton).Bregenzer Festspiele / Christian Lins

Dazu gehören die Einleitung mit ihrem düster-heroischen Klangpanorama, das zweite Tableau mit seinen scharfen Rhythmen und rauen Klangtexturen, in denen bereits der spätere Sibelius aufscheint, sowie das Herzstück des Werkes, die Szene zwischen Kullervo und seiner Schwester. In dieser zentralen Szene glänzten die Sopranistin Marjukka Tepponen und der Bariton Ville Rusanen. Tepponen sang mit leuchtendem Timbre und bemerkenswerter Klarheit, dabei stets kontrolliert und tief verankert im dramatischen Gehalt der Szene. Rusanen wiederum gestaltete Kullervo mit eindrucksvoller vokaler Präsenz: Sein Bariton klang düster, verletzlich und zornig zugleich. Keine Spur von Pathos, sondern eindringliche Schlichtheit – eine Interpretation, die das Verstörende des Stoffes nicht beschönigte, sondern in seiner archaischen Härte offenbarte. Der YL Male Voice Choir, der Prager Philharmonische Chor und der Bregenzer Festspielchor (unter der jeweiligen Leitung von Pasi Hyökki, Lukáš Kozubík und Benjamin Lack) verschmolzen zu einer eindrucksvollen klanglichen Masse: wuchtig, homogen und mit der nötigen Wucht und Kantigkeit für dieses Werk, das eher einem düsteren Ritual gleicht als einem konventionellen Oratorium.

2. Orchesterkonzert
Ville Rusanen (Bariton). Bregenzer Festspiele / Christian Lins

Im vierten Satz tobte der Krieg: Saraste trieb das Orchester durch fanfarenartige Ausbrüche und wilde rhythmische Schübe, ohne je die Kontrolle zu verlieren. Der Klang war brutal, dabei stets transparent, präzise und zielgerichtet. Der Schlusssatz schließlich wurde zur klanggewordenen Resignation, zur Auslöschung einer existenziell zerbrochenen Figur.

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Mit donnernden Blechbläsern, aufgewühlten Streichern und einem hymnischen Finale schrieb Jean Sibelius einst ein musikalisches Manifest gegen die russische Zensur – Finlandia, das die Wiener Symphoniker als Zugabe spielten. Das Werk wurde zur klanglichen Verkörperung des finnischen Nationalstrebens. Ursprünglich war es Teil einer patriotischen Schauspielmusik, entwickelte sich jedoch rasch zu einer eigenständigen sinfonischen Dichtung, die voller Dramatik, Widerstandskraft und Hoffnung ist. Besonders berührend ist der berühmte Choralmittelteil, der später als inoffizielle Nationalhymne Finnlands gesungen wurde. Jukka-Pekka Saraste nannte das Stück schlicht: „Ein Symbol für Freiheit und Mut.“ Großer Jubel.