Kommentar: Gespenster und Träume
Zur Mittagszeit wundert sich mein Mann über meine Abwesenheit. Ich meine die geistige Abwesenheit. Ich bin noch im Pyjama.
Er erzählt mir über eine Variante des Kaiserschmarrens. Diesmal will er ihn zur Vollendung bringen. Wie in der Kunst. Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen, zitiert er. Mein Mann, der Nietzsche-Kenner.
Ich bin der Meinung, dass sein Kaiserschmarren schon längst der Beste ist. Ich höre ihm zu, bin aber im Kopf noch bei den Geistern im Traum. Gerade denke ich, ist es nicht zu viel, Geister und Traum, genügt denn nicht der Traum. Da muss ich Ihnen sagen, der Traum ist vergangen, die Geister sind noch da. Ich hoffe, sie verschwinden. Sie gehören nicht in den Tag. Auch sind sie nicht bequem. Mein Mann tröstet mich.
„Da muss ich Ihnen sagen, der Traum ist vergangen, die Geister sind noch da. Ich hoffe, sie verschwinden.“
„Das ist Illusion, Monika. Die Illusion schützt dich vor der Realität, vor der Notwendigkeit des Todes.“
Die Träume, sobald ich sie meinem Mann erzählt habe, verschwinden, und alles passt wieder ins Reich der Vernunft.
Karamellisiert liegt der Kaiserschmarren auf den Tellern, dazu griechisches Joghurt und Erdbeermus. Das ist der leibhaftige Traum.
Ich sehe aus dem Fenster. Da geht ein alter Mann, an der rechten Hand führt er den Stock, an der linken ein kleines Mädchen. Wohin gehen sie? Ist er der Großvater mit seiner Enkelin? Durch die hysterische Berichterstattung bin ich verdorben. Ich denke, hoffentlich passiert dem Kind nichts. Was soll ihm denn passieren, es ist nur der Großvater mit dem kaputten Knie. Er wird sich mit seiner Enkelin auf eine Spielplatz-Bank setzen und Fragen beantworten, die ihm das Kind stellt.
„Weißt du wieviel Sternlein stehen?“ – „Was ist im Himmel?“
Der Großvater nickt ein. Sein Kopf ist auf seine Brust gesunken. Das Kind rüttelt ihn an der Schulter, der Großvater rührt sich nicht. Er schnarcht ein wenig.
Das Kind läuft zu der Schaukel und schaukelt. Es denkt, ich könnte bis in den Mond hinaufschaukeln, wenn mich einer fest anschupft. Kinder spielen im Sandkasten. Verschleierte Mütter sitzen am Sandkastenrand und unterhalten sich. Eine Frau hält ein Buch in der Hand, ein Wörterbuch. Sie fragt Wörter ab. Die Frau neben ihr, vielleicht ihre Schwester, schließt die Augen, wenn sie nachdenkt. Einige Wörter kennt sie nicht, da wird die Fragerin ungeduldig, das hört man an ihrer schrillen Stimme.
Das Mädchen steht auf der Schaukel und schwingt mit ihrer ganzen Kraft in die Höhe, höher und höher, bis hinauf zu den Sternlein.
Ein Schrei. Das Kind ist von der Schaukel gefallen. Es liegt auf der Wiese und die verschleierten Frauen stürzen herbe. Eine legt ihren Kopf auf die Brust des Kindes, die andere flüstert ihr ins Ohr. Das Kind ist bewusstlos. Nicht tot. Die verschleierte Frau ruft die Rettung Eine geht zu der Bank auf der der Großvater schläft und will in aufwecken. Er reagiert nicht. Sie schüttelt ihn. Da sagt er und blinzelt:
„Im Himmel fehlen die ganzen interessanten Leute.“
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
Kommentar