Kommentar: Klimawandel ist, wenn niemand zuständig ist
Die vergangene Woche war heiß. So heiß, dass einem alten Herrn im Gastgarten der Spruch entwischte, man müsse sich nur noch ein paar Jahre gedulden, dann verbinde sich der Bodensee mit dem Mittelmeer. Toskanisches Klima, das klingt doch nach Lebensqualität. Er meinte es ironisch und er meinte es ernst. In jedem Fall ist es: tödlich.
Tödlich in jener schleichenden, chronischen Art, die sich so schwer in Schlagzeilen verwandeln lässt. Denn während der Westen im Stellvertreterkrieg mit Russland liegt, der Nahe Osten regelmäßig neue Apokalypsen hervorbringt und Donald Trump mit seinem Comeback als Weltverhängnis droht, stirbt unser Planet an einer Lähmung. Einer moralischen, politischen, intellektuellen Lähmung, die sich besonders gut anhand der Äußerungen des österreichischen Landwirtschaftsministers Norbert Totschnig studieren lässt. Der Mann, zuständig für Wälder, Felder, Wasser, sage kürzlich, das Erreichen der Klimaneutralität 2040 sei „eine Kür“. Nicht etwa ein Gebot der Stunde. Keine Überlebensfrage. Nein: eine Kür. Als ob wir zwischen Flamenco und Foxtrott wählen könnten.
Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Der Klimabericht zeige, so Totschnig, Zitat, „dass der Handlungsbedarf groß ist und er zeigt, dass der Klimawandel uns alle betrifft“. Ein Satz wie ein leerer Kanister. Man fragt sich, ob der Mann wirklich denkt, wir hätten das bisher für ein individuelles Problem gehalten. Für ein Luxusproblem von radelnden Bobos zwischen Bregenz und Wien.
Ich gestehe: Ich habe mich nach der Koalition von Türkis und Grün zurückgesehnt. Auch wenn sie vieles verspielte – sie tat wenigstens so, als ginge es ums Überleben. Heute sehen wir: Es ging ihr immerhin um das richtige Thema. Die aktuelle Koalition aus ÖVP, SPÖ und NEOS hat sich in Sachen Klima geradezu prophylaktisch entleibt. Während die FPÖ weiterhin fröhlich den menschengemachten Klimawandel leugnet („klimareligiöser Wahn“, „grüne Planwirtschaft“), rücken die anderen Parteien immer näher an sie heran – aus Angst, noch mehr Wähler an diese Zukunftsleugner zu verlieren, auf Druck der Wirtschaft, mit Blick auf die Finanzen, geschuldet der kurzfristigen Perspektive von fünf Jahren währenden Legislaturperioden.
Die SPÖ ist damit beschäftigt, sich als wirtschaftskompetente Sozialpartei zu verkaufen. Die Volkspartei konzentriert sich auf den Versuch, überhaupt noch als Partei wahrgenommen zu werden. Und die NEOS? Sie, die sich einst als Partei der Vernunft gerierten, sind inzwischen so sehr mit dem eigenen Markenrelaunch beschäftigt, dass ihnen offenbar entgeht, wie sehr es hier nicht um Individualverantwortung, sondern um kollektive Überlebenspolitik geht. Der Liberalismus, der alles zur Privatangelegenheit erklärt, versagt kläglich an einem Problem, das sich nur durch Verbote, Vorgaben, Durchgriffsrechte eindämmen lässt. Ja, Klimaschutz ist Zwang. Wer das bestreitet, belügt sich selbst – und seine Kinder.
Und was machen die Medien? Sie berichten. Doch auch sie tragen Schuld. Denn sie berichten über das Klima mit jener abgeklärten, gleichmütigen Routine, mit der sie über Budgetverhandlungen berichten. Als wäre das eine Frage der Perspektive, nicht der Prognose. Wer den letzten IPCC-Bericht gelesen hat, weiß: Wir steuern mit voller Geschwindigkeit in eine Welt, in welcher der heutige Juni wie ein kühler Frühlingsabend erscheinen wird.
Totschnig nennt das Kür. Ich nenne es: Verbrechen. Ein Verbrechen an der Zukunft. Ein systemisches, parteiübergreifendes, demokratisch legitimiertes Verbrechen. Wer heute in Regierungsverantwortung ist und das Klima nicht zur Priorität Nummer eins macht, soll sich bitte jeden Abend vor den Spiegel stellen und sagen: Ich war dabei. Ich habe es gewusst. Und ich habe nichts getan.
Christian Rainer ist Journalist und Medienmanager. Er war 25 Jahre lang
Chefredakteur und Herausgeber des Nachrichtenmagazins profil.
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