Jedermann 25, eine Empfehlung

VN-Kommentar von Gerald Matt.
Sommer in Österreich ist Festspielzeit. Die Flaggschiffe der Sommerkultur sind bekannt: Salzburg, Bregenz, Mörbisch, Reichenau, um nur die wichtigsten zu benennen. Doch abseits der großen Festspiele gebührt auch den kleineren Initiativen Aufmerksamkeit. Eine davon möchte ich gerne hervorheben. Sie feiert gerade ein Jubiläum. Seit 15 Jahren organisieren der Regisseur Ulf Dückelmann und die Schauspielerin Susanna Bihari das Theaterfestival Theater Zeit Freistadt und überzeugen mit spannenden Theater Erlebnissen. So begeisterte mich vor 2 Jahren Dückelmanns Inszenierung „Der verlorene Sohn“ nach Schillers „Räuber“, und in einer Hauptrolle das herausragende Spiel Biharis. Heuer zum Jubiläum gibt es eine Neuinterpretation des Jedermann-Themas (Premiere am 11. Juli). Bereits im Sommer 2018 hatte Dückelmann mit seiner modernen Bearbeitung des Jedermann-Stoffes Standing Ovation erhalten. Alle Vorstellungen waren restlos ausverkauft. Die existenziellen Fragen an Leben und Tod des Stückes ließen den Regisseur jedoch nicht los, und so wagte er sich wiederum an eine Neuinterpretation. Verbleibt der Jedermann in Salzburg im klassischen Korsett von Hugo von Hofmannsthal Stück, so versetzt Ulf Dückelmann seinen JEDERMANN 25 in die Gegenwart unserer kapitalistischen Wettbewerbsgesellschaft und ihren psychischen Kollateralschaden. Dabei ließ der Regisseur sich von Hofmannsthals allegorischem Stoff als auch von Henrik Ibsens „Wildente“ inspirieren lassen. Die Neuinszenierung erzählt mit dem Untertitel „UND WAS IST, WENN ICH STERBEN SOLLTE?“ die Geschichte eines psychisch angeschlagenen Top-Bankers, der die Einsamkeit in einem verlassenen Wochenendhaus seiner Familie in einem entlegenen Wald sucht, wo er über seinen vermeintlich unmittelbar bevorstehenden Tod sinniert. War sein Erfolg von skrupelloser Egomanie und bedingungslosem Ehrgeiz geprägt, so wünscht der moralisch Angeschlagene nun Versöhnung und Frieden. So lädt er seine nach jahrelangen Streitigkeiten tief verfeindete Familie ein, ihn an dem unwirtlichen Ort zu besuchen. Es folgt ein Showdown der Gefühle zwischen Todesangst, tiefem Hass und enttäuschter Liebe. “Zu seinem eigenen inneren Konflikt addiert sich die Frage nach der Verantwortung des Individuums für die Gesellschaft – einer Gesellschaft, die auf einem Pulverfass sitzt. Jede Gesellschaft hat die Egoisten, die sie verdient“, schreibt Richard David Precht über Jedermann. Dückelmann erzählt bravourös eine überzeitliche Geschichte über den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit und das gesellschaftliche Konfliktpotenzial zwischen einer egoistischen Selbstverwirklichung und dem damit verbundenen Scheitern zwischenmenschlicher Beziehungen. Das Ziel, ewig jung, gesund und erfolgreich zu sein, treibt die Figur des Jedermann unerbittlich immer weiter in den Abgrund. Das TheaterZeitfestival (geboten werden auch Lesungen, Ausstellungen und Workshops) in Freistadt im Mühlviertel, eine halbe Stunde von Linz, beweist eindrücklich, dass es sich lohnt, immer wieder vom Pfad der künstlerischen Großevents abzuweichen und die künstlerischen Perlen abseits der großen etablierten Festivals zu entdecken.