Statisten der Zeitenwende
Es gibt Bilder, die sich einbrennen wie ein Geruch: Zwei Männer, die einander nicht brauchen, aber einander nützen. Der eine verachtet die Demokratie, weil sie ihn bremst; der andere zerschlug sie, weil sie ihn störte. Sie sitzen beisammen, lächeln trocken, und die Welt hält den Atem an. Kein Blitz – nur ein Händedruck, ein kalter Luftzug durch unsere Fundamente.
Rundherum: Ein bisschen Europa. Nicht lächerlich, nicht heroisch, vielmehr verhalten. Von der Leyenbemessen im Tonfall; Merz vorsichtig; Macron versuchend; Meloni kalkulierend in eigener Sache. Politikerinnen und Politiker, die wissen, wie dünn das Eis geworden ist und wie laut jedes falsche Wort bricht. Und Selensky, der Mann, dem die Sprache nicht ausgeht, obwohl ihm die Zeit davonläuft. Keiner von ihnen Karikatur, keiner Ikone. Menschen, die abwägen – und damit den Zynikern den Takt überlassen.
Fassungslosigkeit ist das Wort der Stunde. Doch Fassungslosigkeit ist keine Politik. Wir, die Westeuropäer, sind in der Bequemlichkeit einer Epoche groß geworden, die sich selbst die Ewigkeit versprach: nach dem Fall der Sowjetunion die lineare Zukunft, Fortschritt als Routine, Freiheit als Zins. Medienfreiheit? Selbstverständlich. Rechtsstaat? Natürlich. Krieg? Ein Irrtum der Geschichte, korrigiert von ihr selbst. Diese Welt hat uns weich gemacht; wir hielten Prinzipien für Naturgesetze und verwechselten Haltung mit Temperatur.
Nun kippt der Horizont. Nicht in Sekundenbruchteilen, sondern in der Geschwindigkeit eines Gesprächs hinter Türen. Die alte Grammatik der Welt verliert ihre Verben. Wer Macht hat, setzt sie ein; wer Werte hat, sucht Worte. Die Ordnung, die wir Westen nennen, stellt fest, dass sie viel war, nur nicht alternativlos. China schweigt geschäftig, Indien ebenso. Die Platten der Interessen verschieben sich, und Europa steht am Spalt und debattiert die Geländerhöhe.
Wir nennen das Zeitenwende, als wäre es ein Regierungsprogramm. Tatsächlich wirkt es wie Gravitation: Man redet, sie zieht trotzdem. Die Demokratie stirbt nicht an einem Tag. Sie verliert zuerst ihre Selbstverständlichkeit. Danach ihre Sprache. Dann ihre Verteidiger. Am Ende steht sie noch im Raum und niemand merkt, dass die Tür längst ausgehängt ist.
Was tun? Zunächst: die Sprache schärfen. Nicht die Schärfe der Beleidigung, sondern die Präzision des Maßes. Einfrieren, wo nötig; reden, wo es noch etwas verhindert; liefern, wenn es geht. Europa ist keine Tragödie, es ist ein Wille oder es ist nichts. Die Freiheit ist kein Erbstück, sie ist Leasing. Wer die Rate nicht zahlt, verliert die Schlüssel.
Vielleicht liegt Trost in der Nüchternheit: Ja, die Welt ist härter geworden. Ja, das Unwahrscheinliche ist auf dem Rückweg. Aber Politik ist nicht Zuschauerraum. Sie ist Werkstatt. Wir haben unsere Werkzeuge zu lange im Samt aufbewahrt. Man darf sie anpacken. Sie machen Hände schmutzig, nicht die Seele.
Und Österreich? Wir sind geübt darin, die großen Fragen in kleine Worte zu falten: Neutralität als Kissen, Bedenken als Bettdecke. Es war bequem. Aber die Zeit der Möblierung ist vorbei. Außenpolitik ist nicht mehr das Auslegen von Teppichen, sondern das Setzen von Kanten. Auch im Kleinen gilt: Wer nicht entscheidet, wird entschieden. Mut ist kein Stilmittel, er ist eine Ressource. Er findet erst im Gebrauch seinen Sinn.
Die zwei Herren werden weiter spielen. Unser Teil wäre: das Licht anlassen, auch wenn der Text holpert. Nicht Statisten sein. Eher Souffleure. Oder, besser: Regie.
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