“Es ist fast schwieriger geworden als zuvor”
Für Kurz war die Zusammenarbeit in der Koalition vor Christian Kern einfacher.
Schwarzach. Sebastian Kurz wird derzeit fast täglich auf mögliche Neuwahlen und seine mögliche Kandidatur angesprochen. Seine Antwort: „Diese Frage stellt sich nicht.“ Zu CETA, der Regierungskoalition und der Nachbarschaftshilfe hat er hingegen einiges zu sagen.
Wir blicken gerade gespannt auf die Wallonie. 3,6 Millionen Einwohner, die bei CETA die EU blockieren. Ist so etwas in der EU vorgesehen?
Kurz: Das ist sicher ursprünglich nicht so gedacht gewesen. Gerade bei einer großen Union ist es schwierig, Entscheidungswege so aufzusetzen, dass ein Maximum an Mitsprache für jeden möglich ist und sie gleichzeitig entscheidungsfähig bleibt. Das sieht man in vielen Sitzungen, vor allem wenn das Einstimmigkeitsprinzip gilt.
Sollte das Prinzip abgeschafft werden?
Kurz: Wir sind im Moment in einer so herausfordernden Phase, dass es nicht realistisch ist, die Verträge und damit die Entscheidungswege zu verändern. Jetzt gilt es zuerst, die großen Krisen zu lösen. Aber ich bin überzeugt, dass es eine Veränderung braucht. Die EU soll stark in großen Fragen sein, aber sonst Kompetenz zurück an die Regionen geben.
Wird der CETA-Unterzeichnungstermin am kommenden Donnerstag halten?
Kurz: Da kann ich keine Prognose abgeben. Das sind innerbelgische Vorgänge, auf welche die anderen Mitgliedsstaaten keinen Einfluss haben. Die Bundesregierung hat aber mittlerweile eine klare Linie.
Sie sind am Vormittag extra von Vorarlberg nach Wien gereist, um die Grundsatzrede Ihres Parteiobmannes zu hören. Was hat Sie überrascht?
Kurz: Überraschung ist für mich keine Kategorie. Für mich ist entscheidend, was ich davon aus Überzeugung mittragen kann.
Welche Überzeugung zum Beispiel?
Kurz: Zum Beispiel bei der Mindestsicherung. Umgekehrt bedeutet das: Jemand der arbeitet, muss besser aussteigen als jemand, der nicht arbeitet. Nur wer nicht dieser Überzeugung ist, kann so ein System schaffen, wie wir es derzeit haben.
Kennen Sie jemanden?
Kurz: Ich kenne den Sozialminister Stöger zum Beispiel, der dieses System aufrechterhalten möchte. Und dieses System ist schlichtergreifend nicht treffsicher, etwa beim Thema Integration. Da brauchen wir auch die Möglichkeiten, bei Asylberechtigten gemeinnützige Arbeit zu fördern und zu fordern.
Vorarlberg hatte für Asylwerber schon das Modell der Nachbarschaftshilfe.
Kurz: Dass die Nachbarschaftshilfe gestoppt worden ist, war ein schwerer Fehler. Diesen anzuprangern ist richtig. Aber die Nachbarschaftshilfe allein reicht nicht. Nach fünf Jahren sind immer noch zwei Drittel der anerkannten Flüchtlinge nicht berufsfähig, das birgt gesellschaftspolitischen Sprengstoff.
Wie könnte die Nachbarschaftshilfe aussehen?
Kurz: Es geht darum, wenn jemand einen positiven Bescheid bekommt . . .
. . . die Nachbarschaftshilfe war vor dem Bescheid.
Kurz: Ja. Aber bitte reden wir nicht über das halbe Jahr des Asylverfahrens, das ist nicht das zentrale Problem. Ja zur Nachbarschaftshilfe, aber bitte reden wir mehr über die zehn Jahre danach, in denen sich ein Mensch integrieren muss.
Vorarlbergs FPÖ-Chef Reinhard Bösch hat sich als Fan geoutet. Er richtet Ihnen aus, dass Ihre Vorstellungen nur mit einem Präsidenten Hofer umsetzbar wären. Hat er recht?
Kurz: Sie kennen die Aufgaben des Bundespräsidenten. Es sind wichtige Aufgaben, aber keine tagespolitischen. In der Flüchtlingsfrage hat er kaum Entscheidungskompetenz.
Wen wählen Sie?
Kurz: Ich habe eine persönliche Meinung, werde aber keine Wahlempfehlung abgeben.
Wie klappt die Zusammenarbeit mit Christian Kern?
Kurz: Die Zusammenarbeit in der Koalition ist alles andere als einfach. Christian Kern hat einen New Deal und eine neue Form der Zusammenarbeit angekündigt. Im Moment spüre ich von dieser neuen Form wenig. Es ist fast schwieriger geworden als zuvor.
Schwieriger als unter Faymann?
Kurz: Ich habe das Gefühl, dass die angekündigte neue Zusammenarbeit nicht stattfindet.
Könnten Neuwahlen etwas ändern?
Kurz: Es gäbe aktuell genug zu tun. Die Flüchtlingsfrage, das Integrationsgesetz, das Sozialsystem reformieren, wir müssen den Wirtschaftsstandort attraktiver machen.
Fühlen Sie sich derzeit mehr als Integrationsminister, Außenminister oder gar als Wirtschaftsminister?
Kurz: Der bin ich nicht, insofern fühle ich mich auch nicht so. Ich fühle mich jeden Tag, als das, was ich bin. Nämlich Minister für Europa, Integration und Äußeres.
Würden Sie bei möglichen Neuwahlen als Spitzenkandidat zur Verfügung stehen?
Kurz: Diese Frage stellt sich nicht. Ich bin mit meiner Tätigkeit mehr als ausgelastet. Wir leben im Hier und Jetzt, konzentrieren uns darauf.