Kathrin Stainer-Hämmerle

Kommentar

Kathrin Stainer-Hämmerle

Digitale Politik

Politik / 12.05.2020 • 13:30 Uhr

Die Steiermark wagt es am 28. Juni. Die Wiener haben den 11. Oktober fixiert. Vorarlberg liebäugelt mit Mitte September. Zwei Monate nach dem Lockdown beginnt sich unsere Welt wieder zu drehen. Wirtschaft, Gesellschaft und Staat fahren langsam wieder hoch, und endlich kann Versäumtes nachgeholt werden – wie verschobene Wahlgänge.

Doch die Corona-Krise macht auch in der Politik Versäumnisse der letzten Jahre sichtbar. Die Digitalisierung hat nur in manchen Bereichen der Verwaltung Einzug gehalten. Die Reaktion auf offen zugängliche sensible Daten im Ergänzungsregister war Beweis genug. Man stelle sich vor, ein Unternehmer versucht sich mit Phrasen à la „Haben wir immer schon so gemacht“ oder „Ist eh nix passiert“ aus der Datenschutz-Verantwortung zu stehlen.

Nicht nur Zaungäste

Eine digitalisierte demokratische Politik und das dafür notwendige Bewusstsein fehlen. Das beginnt bei Protestbewegungen wie Fridays for Future. Digitale Demonstrationen bemerkt keiner und stören keinen. Sie verhallen laut- und wirkungslos im weltweiten Netz, wenn der Druck der Straße fehlt. Ebenso haben sich Parlamente nie Gedanken gemacht, wie sie ohne physische Präsenz ihrer Abgeordneten diskutieren und entscheiden können. Digital wurde nur das Publikum zu stummen Zaungästen diverser Livestreams. Die Reduktion von Nationalrat, Landtagen und Gemeinderäten oder ihre Verlegung in Turnhallen waren Notlösungen, die nicht wiederholt werden sollten. Verhandlungen und Abstimmungen können auch anders organisiert werden, wie jedes geschäftliche Zoom-Meeting beweist.

Die Verlegung von Gemeinderäten in Turnhallen waren Notlösungen, die nicht wiederholt werden sollten.

Neue Grundannahmen

Nicht zuletzt die SPÖ-Mitgliederbefragung hat gezeigt, dass einer Mischung aus traditionellen und digitalen Wahlen misstrauisch begegnet wird. Die Unstimmigkeiten innerhalb der SPÖ-Wahlkommission sind eine Lehre aus der vergangenen Bundespräsidentenwahl. Niemand will mehr Protokolle ungeprüft unterschreiben. Und das ist gut so. Umso wichtiger, dass wir uns Gedanken machen, wie Wahlkämpfe, Wahlen, Stimmauszählungsverfahren oder parlamentarische Entscheidungen den Sprung ins digitale Zeitalter schaffen. Ohne digitalen Spalt zwischen Wahlberechtigten oder Parteien oder gar Vertrauensverlust in unsere Demokratie. Dazu braucht es eine Neudefinition der Grundannahmen unserer Demokratie, ein Überdenken der Prozesse und vor allem neue Kompetenzen bei Bürger und Politik. Wahlkampf funktioniert ohne Verteilen von Feuerzeugen und Broschüren, aber Demokratie braucht Wahlen und Verhandlungen. Nach Corona sollten wir dies in aller Ruhe und ohne Not online lernen.