Kathrin Stainer-Hämmerle

Kommentar

Kathrin Stainer-Hämmerle

Gewagte Kombination

Politik / 28.10.2020 • 06:59 Uhr

Michael Ludwig machte es spannend. Der Wiener Bürgermeister ließ sich ein langes Wochenende Zeit für seine politische Partnerwahl. Mit den Pinken geht er nun maximales Risiko ein und eröffnet gleichzeitig die größten Handlungschancen für die SPÖ. Denn Rot-Pink in Wien als Gegenmodell zu Türkis-Grün im Bund ermöglicht ohne Rücksicht auf Verluste weiter ein hartes Match – von beiden Seiten und nun für alle vier Parteien. Die Hoffnung auf mehr Vernunft in der Politik nach der Wienwahl war wohl umsonst.

Ludwig als Nummer Eins

Ludwig hat sich mit diesem Schritt zweifelsohne von seinem Vorgänger Michael Häupl emanzipiert. Dessen Empfehlung bei bewährtem Rot-Grün für Wien zu bleiben, ignoriert er und schlägt stattdessen seinen eigenen Weg ein. Ludwig will mit der ersten sozial-liberalen Koalition in Österreich in den Geschichtsbüchern stehen. Gleichzeitig sichert er sich Platz Eins in der SPÖ mit dieser nicht nur modisch gewagten Farbkombination. Sein Handlungsspielraum mit den kleineren, unerfahrenen Neos ist größer als mit den Grünen. Auch wenn er dafür auf deren Kontakte in die Bundesregierung verzichtet.

„Ludwig will mit der ersten sozial-liberalen Koalition in Österreich in den Geschichtsbüchern stehen.“

Die Grünen gehen trotz Wahlsieg als Verlierer vom Feld. Vielleicht fühlten sie sich zu sicher, wahrscheinlich hat Ludwig ihnen den Alleingang mit der ÖVP zur Verkehrsberuhigung im 1. Bezirk nicht verziehen. Offensichtlich stimmte die Chemie zwischen Ludwig und seiner Vize Birgit Hebein nicht mehr. Neos-Chef Christoph Wiederkehr hingegen hat sich im Wahlkampf vom belächelten Nobody zum ernstzunehmenden Koalitionspartner entwickelt. Nun streift er die Früchte seiner optimistischen Hartnäckigkeit ein, sofern die Verhandlungen glücken.

Länder als Labore

Ludwig hat auch eine inhaltliche Entscheidung getroffen. Statt grüner Verkehrspolitik erlebt Wien bald pinke Bildungspolitik, außer die Neos lassen sich mit einem anderen Referat abspeisen. Dann wären sie bereits vor Eintritt in die Regierung gedemütigt. Der Hinweis Ludwigs auf das Wohnbauprogramm und die Sozialpartnerschaft waren ohnehin schon Warnung genug vor zu viel rosaroter Brille. Beim ersten sind die inhaltlichen Unterschiede am größten, beim zweiten spielen die Neos keine Rolle.

Die österreichische Politfarbenlehre hat jedenfalls eine neue Nuance bekommen. Bundesländer sind Labore für neue Formen der Zusammenarbeit quer über Parteigrenzen hinweg. SPÖ und ÖVP regieren nur mehr in Kärnten und der Steiermark gemeinsam. Neben der schwarz-grünen Westachse und der Dirndl-Koalition in Salzburg gab es schon Schwarz-Blau ebenso wie Rot-Blau und Rot-Grün. Diese Vielfalt garantiert auch zukünftig eine lebendige Demokratie, bei der Regierungen rechts und links der Mitte genauso abwechseln wie Koalitionen mit Partnern jeweils auf der anderen Seite. Jede Partei darf und muss dabei zwischen Oppositions- und Regierungsrolle wechseln, der beste Weg, Machtmissbrauch zu verhindern.