Der Unrechtspräsident
Die Demokratie ist ein zartes Pflänzchen und es ist buchstäblich überall in ständiger Gefahr. Nicht nur Europäer wissen, wie schnell es zertrampelt werden kann und wie verheerend die Folgen sind.
Den vorerst letzten Versuch zur Etablierung eines Unrechtsregimes unternahm in der vergangenen Woche der bei einer demokratischen Wahl am 3. November abgewählte US-Präsident Donald Trump: Bei einer Geheimkonferenz im Weißen Haus diskutierte er mit Getreuen, wie die verlorene Wahl per Kriegsrechtsdekret für ungültig zu erklären und durch eine vom Militär organisierte und überwachte „Neuwahl“ mit vorbestimmtem Ergebnis zu ersetzen ist. Aber selbst die sonst von wenig Skrupeln geplagten Steigbügelhalter-Vasallen wollten dem in der Coronapandemie buchstäblich über Leichen gerittenen Möchtegern-Diktator nicht folgen.
Und obwohl der Wahlsieger Joseph Biden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in gut vier Wochen als neuer US-Präsident vereidigt werden wird, ist die Lebensgefahr für die amerikanische Demokratie damit noch nicht vorbei. Nicht sehr viel weniger als die Hälfte der gewählten Volksvertreter und ihrer Wähler fabulieren weiter wahnhaft vom Wahlbetrug einer gestohlenen Präsidentschaftswahl. Sie huldigen dem „starken Mann“ und treten die Demokratie und unveräußerliche Freiheitsrechte mit Füßen.
In mehr realer Einschätzung künftiger Arbeitschancen im Weißen Haus sehen sich ein paar präsidiale Helfershelfer immerhin schon nach neuer Beschäftigung bei Unternehmen im Trump-Orbit um. Das hat nichts mit dem Bismarck-Bild vom „Lotse geht von Board“ und mehr mit „Die Ratten verlassen das sinkende Schiff“ zu tun. Und mit dem Bestreben, das Vermächtnis eines demokratiefeindlichen Präsidenten zu pflegen.
Zur Überlebensstrategie schuldig gewordener Trumpisten gehört, sich der Strafrechtsfolgen begangener Unrechtstaten entziehen zu wollen: Mit dem Flehen um vorsorgliche Begnadigungen durch den noch amtierenden Präsidenten. Das aus Feudalherren-Zeiten stammende Recht ist verbrieftes Demokratierecht geworden. Donald Trump will es auch für sich, alle möglichen Familienmitglieder, Getreue, Freunde, Geschäftspartner und Figuren nutzen, die ihm auf dem weiteren Lebensweg etwas schuldig sein werden und nützlich sind.
Per Definition ist das Gnadenrecht ein Mittel der Demokratie, das von der Obrigkeit begangenes Unrecht wieder gutmachen soll. Beispielsweise ein Gnadenakt wie das von Präsident Jimmy Carter verfügte Löschen von mehreren Tausend Verurteilungen von Kriegsdienstverweigerern, die aus Gewissensgründen nicht am Vietnamkrieg teilnehmen wollten. Was Donald Trump plant, sind dagegen Freibriefe für Handlanger von Demokratiefeinden. Und sie sind eine Verhöhnung des demokratischen Rechtsempfindens.
„Zur Überlebensstrategie schuldig gewordener Trumpisten gehört, sich der Strafrechtsfolgen begangener Unrechtstaten entziehen zu wollen.“
Peter W. Schroeder
berichtet aus Washington, redaktion@vn.at