Was Portisch uns sagt
Wenn der Tod eines Journalisten es auf die Titelseiten aller Zeitungen des Landes schafft, dann ist etwas Besonderes passiert. So wertschätzend geht die Branche ja nicht immer miteinander um. Doch der Tod von Hugo Portisch hat die Kollegenschaft außergewöhnlich betroffen gemacht. Die besten Kommentare: „Mit Portisch endet ein großes Kapitel des aufklärerischen, aber populären Qualitätsjournalismus“ (Hans Rauscher). Und: „Auf den Punkt gebracht, sagte er in seinen Kommentaren immer das Gleiche: Alles ist Scheiße, aber es wird gut werden“ (Armin Thurnher).
„Die Nachrufe aus der Politik waren voll der üblichen Stehsätze, die man schon fertig in der Schublade hat, wenn es sich um betagte Persönlichkeiten handelt.“
Doch Teile der Kollegenschaft sollten sich auch das Credo von Portisch zu Herzen nehmen: „Ihr habt immer der Wahrheit verpflichtet zu sein, check, re-check, double-check – also überprüfen, nochmals überprüfen und selbst dann nochmals überprüfen. Wenn ich mir anschaue, was manches Boulevardblatt an ungeprüften Vorwürfen hinauslässt, da ist vom Checken nicht viel zu merken. Um nicht missverstanden zu werden. Selbstverständlich ist investigativer Journalismus notwendig, gerade in Zeiten von Message Control (die auch schon einmal besser funktioniert hat), aber das von Portisch ebenfalls geforderte „audiatur et altera pars“ (immer auch die andere Seite zu hören) kommt gelegentlich zu kurz, geschweige denn das „in dubio pro reo“ (im Zweifel für den Angeklagten), ebenfalls sein Grundsatz.
Die Nachrufe aus der Politik waren voll der üblichen Stehsätze, die man schon fertig in der Schublade hat, wenn es sich um betagte Persönlichkeiten handelt. Mir wäre lieber, unsere Politik würde sich mehr an Portischs Vorschläge halten. Vor sechs Jahren hat er in seiner Autobiographie („Aufregend war es immer“) zur Reduzierung der Flüchtlingsströme aus Afrika eine Art Marshallplan vorgeschlagen, um den in Armut lebenden Menschen Anreize zu geben, im eigenen Land zu bleiben: „Die Europäische Union hätte ein großes, wichtiges Projekt und eine Mission zu erfüllen, damit aber auch drohende Gefahren für die Zukunft abzuwenden, das politische Erstarken rechtsextremer, fremdenfeindlicher, rassistischer Parteien“. Der entscheidende Satz: „Wer Europa retten will, muss Afrika retten.“ Was macht Österreich? Bescheidene Entwicklungshilfe, null Solidarität bei der Verteilung von Flüchtlingen und stattdessen ein alibihafter Bau von nicht winterfesten Flüchtlingszelten in Kara Tepe. Anlässlich dieser Buch-Präsentation nannte Portisch als größte Gefahr für Europa „die aufkommende Lust einiger EU-Mitgliedsländer, nationale Interessen vor die europäischen zu stellen“. Damals hat er Polen, Tschechien, Slowaken und Ungarn erwähnt, die in eine Solidargemeinschaft gegangen seien, um abzukassieren. Heute würde er vor allem die Versuche unserer Bundesregierung nennen, sich an Brüssel abzuputzen, etwa bei der Impfstoff-Beschaffung, um von innenpolitischen Problemen abzulenken.
Was hat Portisch uns, der Bevölkerung, aktuell zu sagen? Er, der uns mit einfachen Worten die Welt erklärt hat, hat dazu aufgerufen, „das Leben mitzugestalten und Verantwortung zu tragen“. Er lasse sich impfen, weil er wisse, was das für sich und für die Gesellschaft bedeute. Das ist in einer Zeit, in der das Vertrauen in die Politiker dramatisch schwindet – siehe den jüngsten Vertrauensindex – besonders wichtig, dass das jemand sagt, dem Österreich wie keinem andern vertraut hat. „Die Legende lebt“ hieß es in einem Nachruf. Ich bezweifle aber, dass sich das auch bis zu den Teilnehmern der „Mutter aller Demos“ herumsprechen wird, die immer mehr Gewaltbereitschaft zeigen, für mich die Mutter aller Dummheit.
Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landesdirektor, lebt in Feldkirch.
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