Jürgen Weiss

Kommentar

Jürgen Weiss

Rücktritte

Politik / 25.05.2021 • 08:00 Uhr

So ganz ohne Risiko sieht Landwirtschaftsministerin Köstinger die Ermittlungen gegen ihren Bundeskanzler offenbar nicht, sonst hätte sie nicht einen Rücktritt selbst bei einer gerichtlichen Verurteilung ausgeschlossen. Kurz selbst ist zurückhaltender, lediglich eine bloße Anklage wäre für ihn kein Rücktrittsgrund. Ob es dazu kommt, ist angesichts der Probleme, eine vorsätzliche und nicht nur mit schlechter Erinnerung erklärte unrichtige Zeugenaussage nachzuweisen, offen – von einer Verurteilung ganz zu schweigen.

„Das bleibt in der persönlichen Verantwortung jedes Einzelnen.“

Mit dieser ungewöhnlichen Situation steht der Bundeskanzler nicht allein da. Auch gegen den burgenländischen Landeshauptmann Doskozil wird wegen falscher Zeugenaussage ermittelt und auch er hat entgegen der Meinung seiner Parteivorsitzenden Rendi-Wagner bereits erklärt, auf eine bloße Anklage hin nicht zurückzutreten. Der Kärntner Landeshauptmann Wagner, der wegen umstrittener Zahlungen des Landes an eine Werbeagentur ebenfalls in das Visier der Staatsanwaltschaft geraten war, hatte für den Fall einer Anklage seinen Rücktritt in Aussicht gestellt. Die Nagelprobe blieb ihm dann allerdings erspart. Der Großteil der Vorwürfe wurde letztlich nicht weiterverfolgt und in einem kleinen restlichen Teil entging der Landeshauptmann durch die Zahlung von rund 10.000 Euro mit einer Diversion der Anklage durch die Staatsanwaltschaft.

Wenn Regierungsmitglieder durch ihr offenkundiges Fehlverhalten in ein schiefes Licht oder gar in das Visier der Justiz gerieten, traten sie bisher durchwegs rasch den Rückzug an. Jüngstes Beispiel ist Arbeitsministerin Aschbacher wegen des Vorwurfs, bei ihrer Dissertation nicht sauber gearbeitet zu haben, prominentestes Beispiel Vizekanzler Strache wegen des Ibiza-Videos. Beiden Fällen ist gemeinsam, dass die Verfahren auch heute noch nicht abgeschlossen sind. Klar ist es beim früheren Innenminister Blecha, der nach dem Rücktritt wegen seiner Verwicklung in den Lucona-Skandal tatsächlich rechtskräftig verurteilt wurde. Es gibt bei den bisherigen Fällen eine große Bandbreite unterschiedlich schwerwiegender Vorwürfe, aus denen sich kein zwingender Automatismus Anklage = immer Rücktritt ableiten lässt. Das bleibt in der persönlichen Verantwortung eines jeden Einzelnen (und später seiner Wähler).

Bei dem durch Chat-Protokolle sichtbar gewordenen politischen Postenschacher (aktuell in der Vorstandsbestellung der Staatsholding) ist in Österreich – leider – nur neu, dass früher mündlich Abgemachtes nun von den Betroffenen schriftlich dokumentiert wurde und das in einer Lässigkeit und einem Stil, die sprachlos machen. Ganz zu schweigen von der peinlichen Weise, sich mit Drohungen an den Generalsekretär der Bischofskonferenz offenkundig einen geschmacklosen Spaß zu machen. Immerhin hat der betroffene Direktor der Staatsholding angekündigt, die Rolle des Sündenbockes auf sich zu nehmen und seinen Vertrag nächstes Jahr nicht mehr zu verlängern – ein Rücktritt mit Verzögerung.

Jürgen Weiss vertrat das Land als Mitglied des Bundesrates zwanzig Jahre lang in Wien und gehörte von 1991 bis 1994 der Bundesregierung an.