Pandemie-Schaden

Politik / 11.07.2021 • 22:48 Uhr

Mein alter Freund ist tot. Nicht richtig tot, mit Beerdigung, Trauerbekundungen, und so: Mein alter Freund existiert einfach nicht mehr für mich. Ich will ihn nicht mehr sehen und nichts mehr von ihm hören. Sollte er mir wieder seine langen E-Mails schicken, werden sie ungelesen gelöscht. Denn die Pandemie hat es an den Tag gebracht: Wir passen einfach nicht mehr zusammen, es stimmt zwischen uns hinten und vorne nicht mehr.

Der Freund etlicher Jahrzehnte ist seit der Ankunft von Covid-19 erst unter die Verschwörungstheoretiker und dann unter die militanten Impfgegner gegangen. Seine kulthafte Begeisterung für den durchgeknallten Donald Trump habe ich als eingeschworener Toleranzler zuerst als vorübergehende Geistesverwirrung ignoriert. Als mich mein Freund dann mit „Beweisen“ für die vom „jüdischen Großkapital“ finanzierte „gestohlene Wahl“ zugunsten von Biden bombardierte und überzeugen wollte, hatte ich ihm zuerst Luftveränderung mit psychiatrischer Hilfe empfehlen wollen. Zur Freundschaft gehört ja auch die Bereitschaft zum Helfen.

Aber als er mich schließlich mit Warnungen vor den „als Impfungen getarnten Giftspritzen“ von Bill Gates mit dem „Fernsteuerungschip“ eindeckte, habe ich mich im Kopf von ihm verabschiedet: Die Jahre waren schön mit Dir, alter Freund. Aber ab sofort bist du gestrichen. Es ist aus, es gibt dich nicht mehr, ich halte das nicht länger aus, und ich bin doch nicht verrückt. Der konservative renommierte US-Meinungsforscher Frank Luntz ermittelte, dass jeder zweite US-Bürger unter 30 Jahren und 32 Prozent der zwischen 30 und 50Jährigen ähnliche Erfahrungen machten und Freunde, Bekannte und gelegentlich sogar Familienmitglieder quasi „sterben“ ließen. Bei den über 50Jährigen waren es laut der von der „Denkfabrik“ Centre for Policy Studies veröffentlichten Studie immerhin noch 20 Prozent. Das sei möglicherweise darauf zurückzuführen, dass Ältere im Laufe ihres Lebens im Ignorieren geübter geworden seien.

Ich hab‘ mich umgehört und erfahren: Das „Streichen“ von nicht mehr „passenden“ Freunden in Corona-Zeiten passiert nicht nur in Amerika, sondern wohl überall: Mit Kommunikationsverweigerung in den Sozialen Medien, Telefon klingeln und schriftliche Nachrichten unbeantwortet lassen, E-Mail-Adressen blockieren, „Säubern“ von Adressbüchern, und in besonders schwerwiegenden Fällen dem Vernichten von gemeinsamen Erinnerungsfotos.

Aber bei alledem bleibt ein Stückchen Hoffnung, dass es nach Covid vielleicht doch wieder fast so werden kann wie früher. Denn ein bisschen vermisse ich ihn doch, meinen untoten Freund.

„Zur Freundschaft gehört ja auch die Bereitschaft zum Helfen.“

Peter W. Schroeder

berichtet aus Washington, redaktion@vn.at