Wolfgang Burtscher

Kommentar

Wolfgang Burtscher

ORF und Politik

Politik / 09.08.2021 • 06:30 Uhr

Es sei den politischen Parteien egal, wie es dem ORF gehe. Für sie sei wichtig, wie es ihnen im ORF gehe. Das soll einmal Gerd Bacher gesagt haben, 1967 erster Generalintendant des ORF, von den unabhängigen Zeitungen nach einem Volksbegehren auf den Schild gehoben. Damals hieß der Rundfunkchef noch so, ehe 2001 die schwarz-blaue Regierung der Meinung war, ein „Intendant“ sei zu sehr mit dem Kulturleben verhaftet. Als ob ein öffentlich-rechtlicher Sender nicht ein Kulturträger ersten Ranges sei oder zumindest sein müsste. Bacher wusste, wovon er redet. Zweimal von der Politik abgesägt, zweimal auferstanden. An sein Zitat wird man erinnert, wenn am Dienstag der neue ORF-Generaldirektor gewählt wird und wahrscheinlich der vom Kanzler auserkorene Kandidat Roland Weißmann das Rennen macht. Denn die ÖVP verfügt über 18 der 35 Stimmen im Stiftungsrat. Genug, um die ORF-Spitze im Alleingang zu wählen.

„Als ob ein öffentlich-rechtlicher Sender nicht ein Kulturträger ersten Ranges sei oder zumindest sein müsste. “

Da wird vor allem die SPÖ schäumen. Sie sollte aber daran denken, dass sie es war, respektive der damalige Kanzler Kreisky, die 1974 durch eine Gesetzesreform den Regierungs-Einfluss auf den ORF schlagartig erhöht und die Abwahl des von Kreisky ungeliebten Bacher ermöglicht hat. Statt Bacher kam ein Jurist aus dem Justizministerium, Otto Oberhammer, ans Ruder, ohne jede mediale Erfahrung, aber linientreu. Weil aber vier Jahre später drei SPÖ-Aufsichtsräte Bacher wählten, war der plötzlich wieder im Amt. Legendär die Schlagzeile des SP-Organs „Kärntner Tageszeitung“ zur außer Landes weilenden SP-Spitze: „Kreisky in Paris, Benya in Sofia, Bacher im ORF“. SP-Zentralsekretär Blecha machte sich gar auf „Verrätersuche“. Der der SP zugerechnete Aufsichtsrat und Künstler Adolf Frohner schwor beim Augenlicht seiner Kinder, Bacher nicht gewählt zu haben. André Heller hat beim Begräbnis Bachers 2015 einen Zipfel des Geheimnisses gelüftet. Bachers Rückkehr sei „with a little help“ von Hannes Androsch erfolgt, also dem von Finanzminister Androsch (und Kreisky-Kontrahenten) entsandten Vertreter im Aufsichtsrat („Kuratorium“).

Ungeniert missbrauchten die Regierungen ihre Macht. 1986 wollte SPÖ-Kanzler Sinowatz, dass Bacher den parteinahen Teddy Podgorski ins Team hole. Bacher lehnte ab. Die rot-blaue Koalition im Kuratorium wählte Podgorski zum General, der vier Jahre später erneut Bacher weichen musste, für den die nunmehrige rot-schwarze Koalition Sympathien entdeckt hatte. 2011 fiel Alexander Wrabetz, 2006 mit den Stimmen des Regierungspartners (!) BZÖ und von SP und Grünen ins Amt gekommen, beim SPÖ-Kanzler Faymann in Ungnade. Obwohl Wrabetz dessen Wünsche erfüllt hatte, etwa mit der Abwahl des Informationsdirektors Elmar Oberhauser, der sich Personalwünschen widersetzt hatte. Aber als sich der international anerkannte Medienmanager Gerhard Zeiler angeboten hatte, war Faymann plötzlich wieder für Wrabetz, weil er in Zeiler einen politischen Konkurrenten fürchtete. Die ÖVP war ebenfalls wenig zimperlich. Kanzler Schüssel propagierte 2001 eine „Entparteipolitisierung“. Im nunmehrigen „Stiftungsrat“ durften keine aktiven Mandatare oder Parteiangestellte mehr sitzen. Dennoch lassen sich fast alle Stiftungsräte einer Partei zuordnen. Seither wird offen und nicht mehr geheim abgestimmt. “Völlig unerträglich“ nennt Verfassungsrechtler Heinz Mayer (in der „Presse“) diesen Vorgang und fordert eine Gesetzesänderung. Eine solche, mehrfach verschoben, kommt vielleicht nächstes Jahr und wird dem ORF den überfälligen Spielraum im digitalen Bereich bescheren, etwa den ORF-Player mit Video on demand, wie ihn die BBC schon seit zehn Jahren hat. Sie wird aber mit Sicherheit den Zugriff der Regierung auf den ORF nicht abschaffen. Dazu braucht es vermutlich wieder ein Volksbegehren wie anno 1964.

Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landes­direktor, lebt in Feldkirch.