Wolfgang Burtscher

Kommentar

Wolfgang Burtscher

Aufschrei der Geimpften?

Politik / 20.09.2021 • 05:00 Uhr

Das war für mich die Karikatur der Woche, in der „NEUEN“. Kurz bläst Seifenblasen in die Luft, Aufschrift „Keine Lockdowns für Geimpfte“, doch die Blasen zerplatzen. Lieber als flotte Sprüche wären mir eine großangelegte Impfkampagne gewesen oder mehr Impfbusse bei Festen und anderen Großereignissen und vor allem nachvollziehbare klare Entscheidungen. So aber krebsen wir bei 60 % Vollimmunisierten herum. Kein Vergleich mit den 80 Prozent von Dänemark. Dort sind jetzt alle Beschränkungen aufgehoben. Die Leute können feiern. Keine Maskenpflicht, keine Eltern, die nicht wissen, wie sie ihre in Quarantäne geschickten Kinder betreuen sollen, keine wegen der Covid-Patienten aufgeschobenen Operationen. „Ohne Servus TV und die FPÖ könnten wir Dänemark sein“, sagt der Politikwissenschaftler Eberl, der an der Uni Wien zu Corona forscht. Servus TV deshalb, weil dort die immer gleichen angeblichen Experten längst widerlegten Unsinn verzapfen können. Wären 85 Prozent geimpft, „dann könnten wir es durchlaufen lassen“, meint die Virologin Dorothee van Laer. Bei unserem aktuellen Tempo würde das drei Jahre dauern.

„In Italien darf man demnächst nur noch geimpft, genesen oder getestet an den Arbeitsplatz.“

Wieso ist die Quote bei den Dänen so hoch? Auch deshalb, weil es eine von allen Parteien getragene Kampagne gibt. Also auch von der rechtspopulistischen „Dänischen Volkspartei“, die mit der FPÖ im EU-Parlament in einer Fraktion sitzt. Doch FPÖ-Mandatare verweisen lieber auf ihr „schützendes Immunsystem“, wie die Salzburger Obfrau Svazek in „Im Zentrum“, oder geben Sätze von sich wie „Es braucht keine Impfpropaganda“ (der Abgeordnete Bösch in diesem Blatt) oder bezichtigen Ärzte wie den Kammerpräsidenten Szekeres der Lüge. Jetzt endlich wehren sich die Ärzte. Der Infektiologe Wenisch (im „ORF-Report“): „Politiker sollten sich nicht in medizinische Kontexte hineinverlieren, weil sie das nicht gelernt haben. Das ist totaler Blödsinn und so was von widerlegt und falsch“. Szekeres: „Es werden alle krank, unabhängig von der Parteizugehörigkeit.“ Kein Wunder, dass in jenem Bundesland, in dem die FPÖ am stärksten ist (Oberösterreich), die Rate mit 52 Prozent am geringsten ist. Dort wird nächsten Sonntag gewählt, und die Regierung macht sich nach wie vor in die Hosen, um nicht Stimmen an die FPÖ zu verlieren. Wetten, dass nach dem Sonntag einiges verschärft wird? 1G-Regel für mehr Bereiche oder wenigstens die 2G-Regel, die etwa in Deutschland von einer deutlichen Mehrheit für Gastronomie und Veranstaltungen begrüßt wird. Es muss schlicht ungemütlich werden für Ungeimpfte: Zutrittsbeschränkungen, keine kostenlosen Tests mehr. In Italien darf man demnächst nur noch geimpft, genesen oder getestet an den Arbeitsplatz. In Frankreich gehen die Impfungen im Gesundheitsbereich steil nach oben, weil sonst die unbezahlte Dienstfreistellung droht. Dennoch steigt Macrons Beliebtheit wieder. In Österreich beginnt die Diskussion über Selbstbehalte für Impfverweigerer. Franz Schellhorn von der Denkfabrik „Agenda Austria“: „Jeder Bürger hat die Freiheit, sich nicht impfen zu lassen. Aber kein freiwillig Ungeimpfter hat das Recht, sich im Fall einer Erkrankung kostenlos behandeln zu lassen“.

Ich habe zuerst über die Impflotterie gelächelt, die es im Burgenland gibt. Aber die Burgenländer haben mittlerweile die höchsten Impfzahlen. Für eine breitangelegte Kampagne ist es noch nicht zu spät. Angesichts der Fundamentalopposition der FPÖ wird es den parteiübergreifenden Konsens nicht geben. Wie wäre es mit einer Kampagne mit Promis aus allen Bereichen? Von Moretti über Kiesenhofer bis Arnautovic, denn gerade die Zahlen bei Menschen mit Migrationshintergrund sind besonders besorgniserregend. Oder: Die ÖGK schreibt Ungeimpfte an und bietet Termine an. In den Leserbriefspalten sind meistens nur die obskuren Theorien der Verweigerer zu lesen. Wo bleibt eigentlich der Aufschrei der Geimpften?

Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landes­direktor, lebt in Feldkirch.