Ist da wer?
Das Machtvakuum in der ÖVP scheint zwischenzeitlich die ganze Bundesregierung eingesogen zu haben. Ein großes, schwarzes Loch der Untätigkeit. Untätigkeit, die in Österreich täglich noch mehr Schaden anzurichten droht, Menschenleben kostet.
Wer bitte ist eigentlich die Managerin, der Manager dieser Krise? Ist es der Bundeskanzler, darf der Gesundheitsminister überhaupt was? Ist es irgendein Mitarbeiter im Kanzleramt? Sind es vier oder fünf Landeshauptleute? Wer übernimmt Verantwortung in dieser Republik?
Man blickt gespannt zur Landeshauptleutekonferenz an den Achensee.
Das fortgesetzte Entscheidungselend ist eine Bankrotterklärung der handlungsunfähigen Regierungsspitze. Und so verselbständigt sich die Kommunikation in der Pandemie. Brandgefährlich ist das. Ein Bundesland-Lockdown, verkündet nicht etwa auf einer abgestimmten Krisenpressekonferenz. Nein, der längst überfällige Lockdown in Oberösterreich wird angekündigt im Rahmen der Beantwortung einer Dringlichen Anfrage. Dann schließt sich Salzburg an. Und Vorarlberg beginnt zu überlegen, ob’s nicht auch an der Zeit wäre. Das Kommunikations-Chaos ist perfekt.
Es beginnen Dissonanzen über die Tatsache, ob auch die Schulen geschlossen werden sollten. Die Verhandlerei ist in vollem Gange, ob nicht Homeoffice und das Schließen der Nachtgastronomie ausreichen könnte. ÖVP-Kanzler Alexander Schallenberg will den Lockdown nicht. Überraschung: Niemand will den Lockdown. Doch es gibt durch das lange Zuwarten kaum mehr Alternativen. Eine Alternative ist, dass Österreich in die absehbare Katastrophe schlittert, die sich auf immer mehr Intensivstationen in diesem Land entfaltet.
Die bittere Nachricht ist – und sie ist für die Menschen in diesem Land weitaus folgenschwerer als für die Regierungsparteien – dass das Krisenmanagement völlig gescheitert ist. Der zentrale Satz, zu oft wiederholt von Altkanzler Sebastian Kurz, dass die Pandemie vorbei sei, klingt jetzt wie Hohn. Er klang damals schon wie Hohn.
So lange Kanzler Alexander Schallenberg sich bemüht, die Kurz-Argumentationslinie verzweifelt zu halten, wird das nichts. Es ist an der Zeit, sich hinzustellen und zu sagen: “Ja, wir haben massive Fehler gemacht.” Und Maßnahmen umzusetzen, die 1) kurzfristig die völlig aus dem Ruder gelaufenen Infektionszahlen brechen und damit schnellstmöglich die Spitalsbelastung senken, 2) die Booster-Impfung so rasch wie irgend möglich unter die bereits geimpfte Bevölkerung zu bringen und 3) die generelle Impfpflicht anzugehen. Schwer vorstellbar, wie es sonst gehen könnte.
Der Wiener Bürgermeister hat mit den vergleichsweise niedrigen Infektionszahlen in Wien nicht “nur Glück derzeit”, wie es schon mal in der ÖVP heißt. Er hat seine Stadt im Rahmen der Möglichkeiten konsequent auf die erwartbare Katastrophe vorbereitet. Also exakt das, was der Bund sträflich unterlassen hat. Bürgermeister Michael Ludwig ist einer, der auf seine Wienerinnen und Wiener schaut. Alle Österreicherinnen und Österreicher hätten jemanden verdient, der auf sie schaut.
Ist da wer, der sich verantwortlich fühlt, Entscheidungen trifft und handelt?
Gerold Riedmann
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Gerold Riedmann ist Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten.
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