Julia Ortner

Kommentar

Julia Ortner

Vernunft braucht Vertrauen

Politik / 28.12.2021 • 04:30 Uhr

Pünktlich zum Weihnachtsfest gab der Wiener Infektiologe Christoph Wenisch ein Interview, das uns Zuversicht vermitteln kann. Wenisch war einer der ersten im Land, der vor einem Jahr die Corona-Impfung erhielt. „Omikron ist kein Krampusgeschenk, sondern es ist ein Weihnachtsgeschenk. Es wird uns rasch umdenken lassen und Maßnahmen – etwa ob man mit Schnupfen in die Quarantäne muss – wird man neu bewerten müssen. Wenn man an die ersten Analysen am Beginn der Pandemie schaut: Damals hieß es, Covid-19 sei vom Schweregrad her zehn Mal so schwer wie Influenza. Ende des Jahres 2020 war Covid-19 dann nur noch dreimal so schwer wie Influenza. Wenn das Virus leichter übertragbar ist, wird es weniger virulent“, sagte der Arzt im „Kurier“.

Das Virus wird nicht einfach verschwinden, wir müssen lernen, damit umzugehen. Und auch das zweite Jahr der weltweiten Pandemie hat gezeigt, dass vor allem das notwendig sein wird, um durch diese schwere Zeit zu kommen: Vernunft und Vertrauen.

Wer sich Vernunft in der Pandemie wünscht, muss allerdings dafür sorgen, dass die Menschen Vertrauen haben können.

Die hehre Vorstellung vom Menschen als vernunftbegabtes Wesen wird in der Pandemie von der unerfreulichen Realität eingeholt. Rationalität und Sachlichkeit scheinen müde geworden, so wie viele Menschen. Die allseits beliebte Frage 2021: Bin ich der Trottel der Nation, wenn ich alle Maßnahmen befolge, zur Impfung gehe, meine Freiheiten einschränken lasse? Emotional natürlich nachvollziehbar. Nur, was wäre die Alternative: Selbst auf die Vernunft pfeifen, um alles möglicherweise noch schlimmer zu machen? Ist es trottelig, seine eigene Gesundheit und die seines Umfelds durch die Impfung vor einem schweren Corona-Verlauf zu schützen? Kann man auf eine Verbesserung der Situation hoffen, wenn alle ihren Befindlichkeiten nachgeben? Die Antwort lautet immer: nein.

„Menschen zweiter Klasse“

Wer sich Vernunft in der Pandemie wünscht, muss allerdings dafür sorgen, dass die Menschen Vertrauen haben können – und gerade das Vertrauen in das politische System ist laut den aktuellen Ergebnissen des Österreichischen Demokratie Monitors des SORA-Instituts auf einem Tiefpunkt. Nur ein paar ernüchternde Zahlen: 90 Prozent der Befragten sind davon überzeugt, dass die österreichische Politik ein Korruptionsproblem hat; 58 Prozent sagen, dass das politische System weniger oder gar nicht gut funktioniert; im unteren Einkommensdrittel fühlen sich gar 84 Prozent „als Menschen zweiter Klasse behandelt“.

2022 wird das Jahr sein, in dem der politmediale Betrieb zeigen muss, dass man den Institutionen vertrauen kann. Mit einer offenen Fehlerkultur, noch mehr Erklärung der eigenen Handlungen und möglichst nachvollziehbaren, transparenten Entscheidungen. Dann kann es ein besseres Jahr für uns alle werden.