Mahnung nach Lockerungen: “Die Pandemie ist noch nicht vorbei”

Corona: Vor genau zwei Jahren gab es das erste positive Testergebnis. Die Erfahrungen sprechen Bände.
Schwarzach Vor genau zwei Jahren blickte Robert Spiegel auf das erste positive Coronatestergebnis in Vorarlberg. Er war am 5. März 2020 im Dienst und nahm in Mellau den folgenreichen Abstrich.
Etwas später sollte der Allgemeinmediziner Impf- und Covidkoordinator der Vorarlberger Ärztekammer werden, mit all den Höhen und Tiefen, welche die Pandemie mit sich brachte.

Über ein Drittel der Vorarlbergerinnen und Vorarlberg war bereits infiziert, zumindest offiziell gemeldet. Zweifachinfizierte können auch zu der Gruppe der 138.250 positiv Getesteten seit Pandemiebeginn zählen. Die Zahl der Neuinfektionen war noch nie so hoch wie in diesen Wochen. Alleine am Freitag registrierte Vorarlberg wieder über 1000 neue Fälle. Dennoch treten am heutigen Samstag weitgehende Lockerungen in Kraft. Spiegel appelliert, die Pandemie nicht zu vergessen und etwa weiterhin Abstand zu halten. Auch der Covid-Berater der Landesregierung und Gesundheitsexperte Armin Fidler mahnt zur Selbstverantwortung. Der größte Fehler wäre es, nun von einem „Freedom Day“ zu sprechen. „Wir können Öffnungsschritte wagen. Aber wir müssen im Hinterkopf behalten, dass wir auf die Bremse steigen müssen, wenn es die Situation erfordert.“ Die Pandemie sei schließlich nicht vorbei. Diese Erkenntnis müsse eine Lehre aus der Vergangenheit sein.
Die lockeren Sommer
„Und dann kam der Sommer…“, antwortet sowohl Fidler als auch Spiegel auf die Frage nach den großen Irrtümern in der Pandemie. „Wir müssen darauf achten, dass wir Infektionsgefahren nicht provozieren oder anheizen“, meint der Covid-Koordinator. Fidler warnt vor eine gewissen Kurzsichtigkeit. Schlimm genug, dass bereits zwei Mal nach dem Sommer das böse Herbsterwachen gekommen sei. „Das droht schon wieder. Wir gehen in das Frühjahr rein, die Pandemie wird in Vergessenheit geraten und im Herbst wird man sich wundern, warum wir nicht vorbereitet waren.“ Die geringe Impfquote bei Kindern und Jugendlichen sei eigentlich ein Skandal. Zehn Prozent der Unter-Zwölf-Jährigen haben bislang eine Impfung bekommen, bei den Zwölf- bis 14-Jährigen sind es 50 Prozent. Insgesamt sind aktuell knapp zwei Drittel aller Vorarlbergerinnen und Vorarlberger geimpft. Spiegel hält die Impflücke für bedenklich. „Sie wird im Herbst sicher zu Problemen führen.“ Spätestens dann stünden auch für die bereits Geimpften Auffrischungsimpfungen an.

Vieles in Frage gestellt
Vorhersagen zu treffen sei schwierig, sagt Fidler. „Wissenschaft ist immer weiterlernen.“ Vieles sei Neuland, zum Beispiel auch die Omikron-Variante: „Wir sehen, dass sich die Infektiosität anders gestaltet. Wir müssen schauen, wie wir damit umgehen“, spricht der Gesundheitsexperte eine mögliche Änderung der Quarantäneregeln an. Auch bei der Teststrategie stehen die Zeichen auf Veränderung, wobei Spiegel betont, dass symptomatische Patienten weiterhin getestet werden sollen. Auch im Umfeld von vulnerablen Gruppen – also in Spitälern und Pflegeheimen – bleibe es sicher notwendig. Würden größere Feiern anstehen, etwa eine Hochzeit oder ein Geburtstagsfest, schade es nicht, davor einen Antigentest zu machen, erklärt der Allgemeinmediziner. Er warnt, dass Omikron nicht ganz so harmlos sei, wie viele sagen. Dass die 3G-Regel im Freizeitbereich weitgehend abgeschafft wird, kritisiert Spiegel nicht: „De facto ist sie schon lange gefallen. Viele haben sich in den vergangenen Wochen schon nicht daran gehalten.“
Handbuch erarbeiten
Die Pandemie habe gezeigt, wie verletzbar wir sind, erklärt der Covidkoordinator. Auf lange Sicht sei das eine Lehre. Man müsse sich auf solche Szenarien planerisch vorbereiten. „Wir sollten alles, was wir in den vergangenen Jahren gelernt haben, niederschreiben und hinterlegen“, eine Art Handbuch sozusagen. Schade sei nur, dass ein Teil des Kapitels zum Notspital ungeschrieben bleibe. Man habe es zwar aufgebaut und damit einen guten Puffer geschaffen. „Wir haben den Betrieb aber nie ausprobiert, nie getestet, obwohl es schon stand.“
