Emil Brix: “Für Österreich sehe ich keine Vermittlerrolle”

Brücke oder Bühne: Was war der Besuch Nehammers bei Putin letztendlich? Spitzendiplomat Emil Brix ordnet ein.
Wien Die Reise von Karl Nehammer zum russischen Präsidenten Wladimir Putin wurde in diplomatischen Kreisen mit Spannung beobachtet. Emil Brix, ehemaliger österreichischer Botschafter in Moskau und aktuell Direktor der Diplomatischen Akademie, sprach mit den VN über den “merkwürdig kurzen Besuch”, die russisch-österreichischen Beziehungen und welche Rolle die Türkei und China im Ukraine-Krieg einnehmen könnten.
Kann es aus diplomatischer Sicht eine Kategorie “Nützt es nichts, schadet es nichts” geben?
In der Diplomatie gibt es oft Kilometer, von denen man den Eindruck hat, es sind leere Kilometer. Aber man weiß nicht, was dann nicht doch irgendwann nützt. Natürlich, es gab keine konkreten Ergebnisse dieser Reise, aber es ist Teil einer Geschichte der österreichisch-russischen Beziehungen, die fortgeschrieben wird. Das Ereignis selbst wird in der Kriegssituation keinen Beitrag zur Verbesserung der Lage leisten. So ehrlich ist der Bundeskanzler, und so ehrlich muss man auch sein.
Wie stellte sich für Sie die diplomatische Beziehung zwischen Österreich und Russland vor dem Ukraine-Krieg dar?
Vor dem Krieg war es auch schon deutlich anders als unter den Bundeskanzlern Kern und Kurz. Es war weit ausgewogener zwischen dem Westen und Russland. Man konnte eigentlich annehmen, dass hier nach und nach ein vernünftiges Verhältnis aufgebaut werden kann, das nicht einseitig ist. Durch den Krieg ist alles anders geworden. Jetzt herrscht eine Ausnahmesituation. Und dass es jetzt schlechtere Beziehungen gibt, ist selbstverständlich. Aber, wenn man es positiv sehen möchte: Ein paar der Abhängigkeiten, etwa, dass so viele Ex-Politiker in russischen Unternehmen angedockt haben, sind weggefallen.
Was ist diplomatisch im Moment noch möglich? Welche Länder hätten einen Einfluss auf Russland?
Da fällt mir als erstes China ein. China ist, denke ich, abwartend, da man sich noch nicht entschieden hat, wie man am besten profitieren könnte. Das würde auch auf Russland tatsächlich einen Eindruck machen. Ansonsten ist das, was zu erwarten war, passiert. Es sind Staaten außerhalb der Europäischen Union, die sich als Vermittler eingebracht haben. Es sind Staaten, die nicht bei der NATO sind – mit Ausnahme der Türkei.
Die Türkei bemüht sich, die Rolle der Vermittlerin einzunehmen. Wie schätzen Sie das ein?
Für die Türkei ist das natürlich eine gute Gelegenheit, dass sie hier ihren schlechten Ruf los wird und auch die eigenen Probleme verbessern könnte, wenn sie als erfolgreiche Vermittlerin auftritt. Traditionell und historisch ist das russisch-türkische Verhältnis immer eines der Konfrontation gewesen. Ich könnte jede Menge türkisch-russischer Kriege der vergangenen Jahrhunderte aufzählen. Und es war ja auch bereits während des Syrienkriegs gespannt. Nur, wirkliche Verhandlungen gibt es noch nicht. Im Moment sehen wir nur einen Austausch von Positionen und ich glaube, dabei wird es noch eine Zeit lang bleiben.
Wie viel Gewicht hat Österreich?
Für Österreich sehe ich da keine Vermittlerrolle. Wir haben uns mit vollem Recht gegen den Aggressorstaat gestellt und Russland nimmt das zur Kenntnis, will aber ganz offensichtlich die Beziehungen mit Österreich nicht ganz kappen, sonst wäre dieser Besuch auch gar nicht zustande gekommen. Das ist für mich das Überraschende: Dass Russland so einem Besuch zugestimmt hat, ohne dass man von russischer Seite irgendeinen Vorteil ziehen kann. Denn die Propagandaverwertung im Inland ist bei der derzeitigen Medienkontrolle ja überhaupt nicht mehr notwendig für den Kreml. Und trotzdem haben sie diesem Besuch zugestimmt. Das zeigt schon, dass hier versucht wird, offenbar auch an die Zeit nach dem Krieg zu denken.
Russland kann damit zumindest signalisieren, dass Europa das Land nicht komplett abschottet.
Ja, aber es wurde auch das Risiko eingegangen, und das war ja dann auch so, dass der Bundeskanzler ganz klar Kriegsverbrechen in Butscha anspricht. Das ist für die russische Seite nicht unbedingt angenehm. Es war aber eine ein bisschen merkwürdige symbolische Geschichte. Denn ich habe noch nie ein Gespräch von Putin mit einem ausländischen Staatschef erlebt, das nur eine Stunde gedauert hat. Das war schon überraschend kurz.