Freiheitsrechte
Mit kaum nachvollziehbarerer Brutalität und vor den Augen der gesamten Menschheit bedroht der russische Krieg das Leben und die elementarsten Freiheitsrechte in der Ukraine. Aber gelegentlich kommt diese Bedrohung auch auf leisen Sohlen. Wie im Fall des in Großbritannien inhaftierten 50-jährigen Internet-Journalisten Julian Assange, des Gründers der Enthüllungsplattform Wikileaks: Weitgehend unbeachtet von der Weltöffentlichkeit wird die britische Innenministerin Pritti Patel in den nächsten Tagen entscheiden, ob Assange wie von der US-Regierung verlangt, in die USA ausgeliefert wird. Wo ihm, auch zur Abschreckung weiterer Enthüllungsjournalisten, als „Spion“ der Prozess gemacht werden soll und ihm 175 Jahre Zuchthaus drohen.
Assanges „Verbrechen“ war es, von US-Soldaten begangene Kriegsverbrechen im Irak publik gemacht zu haben: Das Ermorden von Zivilisten und Kriegsgefangenen, das Foltern und Ermorden von „Verdächtigen“, und zahlreiche andere Verstöße gegen geltendes Völkerrecht. „Wikileaks“ hatte sich dabei auf originale Geheimakten des US-Militärs gestützt, die ihm von der später zu 35 Jahren Haft verurteilten und nach sieben Jahren vom damaligen US-Präsidenten Barack Obama begnadigten US-Soldatin Chelsey Manning zugespielt worden waren. Washingtons Rachefeldzug gegen den Australier Assange ist zuerst das Zeichen für eine nicht hinzunehmende offizielle amerikanische Doppelmoral. Ein Land, das wie viele andere demokratische Länder zu Recht Kriegsverbrechen russischer Soldaten im Ukraine-Krieg anprangert, beansprucht für sich das Sonderrecht des Vertuschens selbst begangener Verbrechen und das buchstäbliche Mundtot-Machen von Aufklärern und Warnern.
Der Fall Assange ist darüber hinaus ein Frontalangriff auf einen Grundpfeiler demokratischer Freiheitsrechte, die unverzichtbare Pressefreiheit. Ohne die Wächterfunktion der Medien, und dazu gehört Assanges „Wikileaks“, gibt es keine Kontrolle der Mächtigen. Auch der Schutz der Schwachen, Vernachlässigten und Bedrohten wird eliminiert. Kurz: Das Aushebeln der Pressefreiheit ist einer der Schritte zur allgemeinen Rechtlosigkeit, Unterdrückung und Anarchie.
Die Vereinigten Staaten stufen sich selbst, und oft zu Recht, als Kämpfer für Freiheitsrechte und damit als „Leuchtfeuer der Demokratie“ ein. Mit dem Beharren auf ein „Ausschalten“ von Assange ist der amtierende US-Präsident Joseph Biden damit beschäftigt, das „Leuchtfeuer der Demokratie“ auszulöschen. Deshalb: Mister President, bereiten Sie dem Spuk ein Ende.
„Der Fall Assange ist ein Frontalangriff auf einen Grundpfeiler demokratischer Freiheitsrechte.“
Peter W. Schroeder
berichtet aus Washington, redaktion@vn.at