Babyklappen als Ausweg aus dem Konflikt

Politik / 07.09.2022 • 18:00 Uhr
Kinder können unbeobachtet und anonym in einem Wärmebettchen abgelegt werden. <span class="copyright">VN/Paulitsch</span>
Kinder können unbeobachtet und anonym in einem Wärmebettchen abgelegt werden. VN/Paulitsch

Sie werden in Vorarlberg allerdings kaum genutzt. Selten sind auch anonyme Geburten.

Bregenz Das Erlebte hat sich in das Gedächtnis eingebrannt. Während seiner ärztlichen Assistenzzeit in Wien wurde Christian Huemer zu einem Einsatz an den Wiener Westbahnhof gerufen. Dort war ein Neugeborenes in einem Abfalleimer gefunden worden. „Es handelte sich um ein vollentwickeltes Baby“, erzählt der Kinderarzt. Glücklicherweise konnte es erfolgreich reanimiert und später gesund aus dem Spital entlassen werden. Ein anderer Säugling hatte weniger Glück. Er starb in einem Mistkübel am Flughafen Wien. „Kinder sollen nicht in Mülleimern landen“, sinniert Huemer, inzwischen Leiter der Kinder-und Jugendabteilung am Landeskrankenhaus Bregenz. Schon deshalb tun Angebote wie die Babyklappe oder die anonyme Geburt not, wenngleich beides in Vorarlberg kaum genutzt wird. In der Babyklappe wurden bislang zwei Neugeborene abgelegt. Von einem sporadischen Ereignis spricht der Primar der Gynäkologie und Geburtshilfe, Michael Rohde, auch im Zusammenhang mit der anonymen Geburt. Er berichtet von zwei Fällen in den vergangenen zehn Jahren. Auf die Kinder in der Babyklappe erhoben die Mütter bzw. Eltern keinen Anspruch mehr. „Beide wurden zur Adoption freigegeben und befinden sich in besten Händen“, weiß Huemer.

Die Babyklappe befindet sich in Bregenz. <span class="copyright">VN/Paulitsch</span>
Die Babyklappe befindet sich in Bregenz. VN/Paulitsch

Funktionstüchtigkeit sichern

Wirtschaftliche Probleme, Gewaltbeziehung, ungewollte Schwangerschaft, Angst, der Verantwortung nicht gerecht zu werden: Die Gründe, sich gegen ein Kind zu entscheiden, sind vielfältig. Einen Ausweg aus dem Konflikt sollen sogenannte Babynester bieten, die es seit gut 20 Jahren in Österreich gibt. Hier können Frauen ihr Kind anonym und unbeobachtet in ein Wärmebettchen ablegen. Sobald die Klappe geöffnet und wieder geschlossen wird, geht im angeschlossenen Krankenhaus ein Alarm los. Sofort rücken Pflege und medizinisches Personal aus, um den Säugling zu versorgen. Das Vorhalten einer Babyklappe ist technisch aufwendig, denn sie muss, für den Fall der Fälle, rund um die Uhr funktionieren und vor allem warmgehalten werden. Um die Anonymität der Frauen zu gewährleisten, wird zwar das Bettchen, nicht aber der Bereich direkt bei der Babyklappe überwacht. In Bregenz hängen jedoch im Raum davor Kameras. Banaler Grund: Vandalismus. Schon mehr als einmal wurden Bierflaschen aus dem Wärmebettchen geholt.

Babyklappen als Ausweg aus dem Konflikt
“Beide wurden zur Adoption freigegeben und befinden sich in besten Händen“, sagt Huemer, Leiter der Kinder-und Jugendabteilung am LKH zu den beiden Babys, die bisher abgelegt wurden.

Inzwischen verfügt jedes Bundesland über Babyklappen. In Wien etwa wurden bis dato 32 Kinder abgelegt. Vorarlberg bekam 2008 eine Babyklappe, und zwar beim damaligen Sanatorium Mehrerau. Dort ging am 16. Juli 2010 erstmals der Alarm los. In der Babyklappe lag ein drei Tage alter Bub. Nach der Schließung des Sanatoriums erfolgte 2015 die Verlegung der Einrichtung in den Eingangsbereich des Personalhauses beim LKH Bregenz. Dort wurde wenig später ebenfalls ein Neugeborenes abgelegt. Ein Schild weist auf das Vorhandensein der Babyklappe hin. Von außen ist sie jedoch nicht einsehbar.

Patientin mit Decknamen

Sehr selten sind auch anonyme Geburten in den Spitälern des Landes. „Was zählt ist, dass es das Angebot gibt“, betont Primar Michael Rohde. Beides, Babyklappe und anonyme Geburt, sind für ihn eine Art von Fürsorge, die Respekt und Achtung verdiene. Für eine anonyme Geburt gelten klare Abläufe. „Die Mutter wird bei uns mit einem Decknamen geführt, der keine Rückschlüsse auf ihre Identität zulässt, und sie wird von anderen Patienten weitgehend abgeschirmt“, erläutert Rohde. Ob die Mutter das Baby nach der Geburt sehen möchte, bleibt ihre Entscheidung. Die Zuständigkeit für das Kind fällt indes sofort in jene der Kinder- und Jugendhilfe. Nicht nur das haben Babyklappe und anonyme Geburt gemeinsam. In beiden Fällen besteht für die Mutter die Möglichkeit, einen Brief an ihr Kind zu hinterlassen. „Aus vielen Gesprächen mit erwachsenen Adoptivkindern ist bekannt, wie wichtig für sie später einmal Informationen über die Herkunftsfamilie sind“, begründet Michael Rohde. Erfahrungsgemäß würden die Mütter von der Möglichkeit, dem Kind Informationen zukommen zu lassen, aber kaum Gebrauch machen. Deshalb wird das Geburtsteam ersucht, den Ablauf der Geburt niederzuschreiben. Es soll keine medizinische, sondern eine persönlich gefärbte Schilderung der Vorgänge sein: „So, wie eben auch eine Mutter ihrem Kind später von der Geburt erzählen würde“, konkretisiert Rohde.

Primar Rhode spricht auch im Zusammenhang mit der anonymen Geburt von einem sporadischen Ereignis. <span class="copyright">VN/Stiplovsek</span>
Primar Rhode spricht auch im Zusammenhang mit der anonymen Geburt von einem sporadischen Ereignis. VN/Stiplovsek

Beratungsangebote

Die Mutter wiederum enthält ein Informationsblatt mit den Adressen von Einrichtungen, die Beratung und Unterstützung anbieten. „Sie befindet sich in einer besonderen Notsituation und sollte daher jede Hilfe bekommen, auch nach dem Krankenhausaufenthalt“, bekräftigt der Frauenarzt. Sechs Monate haben Mütter dann noch Zeit, ihre Entscheidung zu überdenken und rückgängig zu machen. Die wenigsten tun es. Laut Christian Huemer ist es nur ein Drittel, doch alle haben ihren Kindern eine Chance auf Leben gegeben.