Das konservative Drama
Die ÖVP wird ihren strategischen Fehler, keinen eigenen Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl zu nominieren, wohl längst bereuen. Aber wer hätte geahnt, dass die langweilige Auseinandersetzung Amtsinhaber gegen Rosenkranz aus dem Jahr 2010 zwölf Jahre später nicht einfach mit Walter statt Barbara wiederholt wird. Die geänderte Themen- wie Stimmungslage hätten zwar darauf hingedeutet, aber die Einsparung der Wahlkampfmillionen schien vorrangig. So können nun sechs laute Herausforderer den Verdruss gegen das politische System und besonders gegen die Bundesregierung befeuern. Der Amtsinhaber wird dem wenig entgegensetzen und die ÖVP hat niemanden im Ring.
Doch wer sagt denn, dass nur die FPÖ einen unbezwingbaren Drang zur Selbstbeschädigung hat? Der Unterschied zur ÖVP ist der Zeitpunkt. Während die Blauen sich in guten Zeiten gegenseitig beschädigen, setzt dieser Reflex bei der ÖVP bei sinkenden Umfragen ein. Nur so lassen sich die Ereignisse der letzten Tage interpretieren: Erstens das verzweifelte Ablenkungsmanöver der wahlkämpfenden Tiroler. Zweitens die unnötige Eskalation durch Laura Sachslehner. In Zeiten der schamlos offenen Geldhähne wird plötzlich ein bereits beschlossener Bonus für eine relativ kleine Gruppe zur Nagelprobe von Türkis-Grün und macht die Desorientierung der ÖVP deutlich.
Ob Steuergeld nur den eigenen Leuten, sprich Wählern, zusteht, ist natürlich eine symbolische Frage. Schon bei der Indexierung der Familienbeihilfe riskierte die ÖVP lieber die Blamage einer Verurteilung durch den EuGH als den Zorn ihrer Anhänger oder den Abfluss neu gewonnener FPÖ-Wähler. Dass ausgerechnet die Tiroler ÖVP die Forderung stellte, macht aber sprachlos. Denn die geforderte Rückzahlung von mehr als 800.000 Euro COVID-19-Hilfen von Jungbauern und Landjugend ebendort legt keinen sparsamen Umgang mit öffentlichem Geld dieser VP-Teilorganisationen offen.
Was bleibt also von den von der ehemaligen Generalsekretärin so hochgelobten Werten der ÖVP? Der Eindruck einer Partei, wo die Eigenen schamlos in die Fördertöpfe greifen und sich gleichzeitig nicht genieren, eine Neiddebatte zwischen den Armen und den Ärmsten anzuzetteln. Das Motiv Sachslehners bleibt dabei im Dunkeln. Entweder wusste sie nicht, dass sie mit ihrer Forderung von Nachverhandlungen die roten Linien der Grünen überschreitet oder sie hat es absichtlich getan. Beides disqualifiziert sie als Parteimanagerin einer Kanzlerpartei.
Da bietet nur Vorarlberg einen Lichtblick im Drama der ÖVP mit der Rückkehr eines „gesunden und hochmotivierten“ Markus Wallner. Doch seine Probleme sind nicht wie seine Beschwerden verschwunden. Für ihn gilt es in zwei Rollen an vielen Fronten zu kämpfen: Als Landeshauptmann gegen Teuerung, Energiekrise, Personalmangel in Heimen und Schulen und wohl auch bald bei der Pandemiebekämpfung. Die größeren Gefahren drohen ihm als Parteichef. Das neue Parteigesetz und ein neuer Kopf an der Spitze des Wirtschaftsbundes wird nicht reichen das verlorene Vertrauen zurückzugewinnen. In elf Tagen zeigt sich gleich hinter dem Arlberg, wie schnell selbst für eine dominante Landespartei alles ins Rutschen kommen kann.
Kommentar