Bolsonaros Schweigen erst spät gebrochen

Politik / 01.11.2022 • 22:44 Uhr
Lula tritt sein Amt an, um
Lula tritt sein Amt an, um “die Familien wieder zusammenzuführen”.REUTERS

Nochmals hält Brasiliens abgewählter Präsident das Land in Atem.

Brasilia Brasilien steht still. Nach der Niederlage des rechten Präsidenten Jair Bolsonaro bei der Stichwahl am Sonntag blockieren seine Unterstützer Fernstraßen in dem riesigen Land. Sowohl rund um die Millionenmetropolen Rio de Janeiro und São Paulo als auch in der tiefsten Provinz stecken sie Reifen in Brand, errichten Barrikaden und stoppen den Verkehr.

Sie wollen nicht hinnehmen, dass Bolsonaro die Wahl gegen seinen linken Herausforderer Luiz Inácio Lula da Silva knapp verloren hat. Lula kam auf 50,90 Prozent, Bolsonaro auf 49,10 Prozent – es ist der wohl knappste Wahlausgang in Brasilien seit der Rückkehr des Landes zur Demokratie Ende der 1980er.

Nach der Wahl bleiben Zweifel

Doch der amtierende Staatschef schweigt nach der Wahlnacht zunächst. Erst am Dienstagabend äußerte er sich zu seiner Niederlage: Er werde die „Verfassung respektieren“. Wie Ex-US-Präsident Donald Trump hatte auch Bolsonaro vor der Abstimmung immer wieder Zweifel am Wahlsystem gestreut und angedeutet, das Ergebnis möglicherweise nicht anzuerkennen. Sollte er das Resultat doch anzweifeln, könnten sich seine Anhänger möglicherweise zu gewalttätigen Protesten ermutigt fühlen.

Der Präsident des Obersten Wahlgerichts wies die Polizei schließlich an, die Straßensperren abzuräumen. Die Proteste zeigen, wie polarisiert das größte Land Lateinamerikas ist. Das Land ist praktisch in zwei Lager gespalten. Nach seinem Wahlsieg schlägt Lula versöhnliche Töne an. „Es ist an der Zeit, Familien wieder zusammenzuführen und Bande der Freundschaft wiederherzustellen“, sagt er. „Niemand ist daran interessiert, in einem geteilten Land zu leben, in permanentem Kriegszustand.“

„Ich bin zuversichtlich“

Den Wahlkampf hatten beide Kandidaten mit harten Bandagen geführt. Wochenlang überzogen sie sich mit Beleidigungen, Anschuldigungen und Falschinformationen. Aus politischen Gegnern wurden erbitterte Feinde. Der Riss ging häufig mitten durch Familien, Freundeskreise und Nachbarschaften. Nun ist es an Lula, die Gräben wieder zuzuschütten und die Menschen miteinander zu versöhnen.

„Ich bin hier, um dieses Land in einer sehr schwierigen Situation zu regieren. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir mit Hilfe des Volkes einen Ausweg finden werden, damit dieses Land wieder demokratisch und harmonisch leben kann“, sagt Lula bei seiner Siegesrede. „Es gibt keine zwei Brasilien, nur ein Volk. Es ist an der Zeit, die Waffen niederzulegen.“ Der jetzt 77-Jährige startet noch einmal durch und tritt Anfang kommenden Jahres als erster demokratisch gewählter Präsident Brasiliens eine dritte Amtszeit an.