Neue Pflegelehre soll Antwort auf Arbeitskräftemangel geben

Die Gesellschaft wird immer älter, der Pflegebedarf steigt. Die Pflegelehre soll ein Puzzleteil sein, um mehr Personal zu gewinnen. APA/Bauch
Der Ministerrat hat am Mittwoch die Pflegelehre fixiert. Vorarlberg wird an dem Pilotprojekt teilnehmen.
Marlies Mohr, Julia Schilly
Wien, Bregenz Derzeit kann man im Pflegebereich keine Lehre absolvieren. Noch. Denn ab Herbst startet ein Pilotprojekt bezüglich einer dreijährigen Lehre zur Pflegeassistenz beziehungsweise einer vierjährigen Lehre zur Pflegefachassistenz in drei Bundesländern. Auch eine Berufsschule in Vorarlberg beteiligt sich an dem “Ausbildungsversuch”, wie Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) am Mittwoch nach dem diesbezüglichen Beschluss im Ministerrat verkündete.
Der Fachkräftebedarf sei eine “riesige Herausforderung”, sagte Kocher. Die Pflegelehre soll nun ein weiterer Baustein gegen den Fachkräftemangel sein, indem Anreize für Berufseinsteiger geschaffen werden. Denn Lehrlinge bekommen ab Tag eins ein garantiertes Lehreinkommen im Gegensatz zu Pflegefachschulen. Die Pflegelehre ist ein Baustein der Pflegereform von Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne).

Wallner befürwortet Pflegelehre
Vorarlberg sieht mit dem positiven Ministerratsbeschluss endlich eine langjährige Forderung erfüllt. Für Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) stellt die Pflegelehre mit der Möglichkeit einer drei- und vierjährigen Assistenzausbildung eine gute Lösung dar. „Die Mangel-Debatte hat natürlich Schwung in die Sache gebracht“, sagte er gegenüber den VN, es sei jedoch allgemein wichtig, allen Altersstufen entsprechende Ausbildungsangebote zu machen.
Zwölf Ausbildungsplätze
In Vorarlberg absolviert jeder zweite Jugendliche eine Lehre. „Das heißt, im Pflegebereich hatten wir bislang jeden zweiten Jugendlichen nicht im Fokus.“ Laut Wallner geht es auch darum, Interesse an diesem Beruf zu wecken, und das scheint gegeben. Seit März sind Bewerbungen möglich, aktuell liegen schon rund 30 vor.
Allerdings gibt es vorderhand nur zwölf Ausbildungsplätze. Die Stiftung Liebenau will an allen sieben Standorten im Land Pflegelehrlinge aufnehmen. Dazu kommt noch das Antoniushaus in Feldkirch, das bereits die Betriebsdienstleisterlehre anbietet. Auch sie erlaubt den Übertritt in einen Pflegeberuf. Insgesamt wurden seit Bestehen dieses Angebots 110 Lehrlinge ausgebildet, über 70 Prozent machten anschließend eine Zusatzausbildung in einem Sozialberuf. „Vorarlberg ist das Land der Lehre. Ich bin überzeugt, dass auch die Pflegelehre qualitätsvoll und gut wird“, zeigt sich Markus Wallner nicht nur davon überzeugt. Er glaubt außerdem an einen raschen Ausbau der Ausbildungsplätze.
Altersgerechter Einstieg
Gesundheitsminister Rauch betonte bei der gemeinsamen Pressekonferenz, dass bei der Umsetzung der Pflegelehre der altersgerechte Einstieg ein wichtiger Aspekt ist. Die Jugendlichen sollen demnach “sukzessive an schwierigere Aufgaben herangeführt werden”. Richtige Pflegetätigkeiten sollen die Lehrlinge erst ab 17 Jahren leisten. Zu Beginn werden vor allem sozial-kommunikative Aufgaben im Vordergrund stehen. Parallel wird die Pflegelehre nach spätestens sieben Jahren evaluiert und vor allem die Zufriedenheit der Lehrlinge untersucht. Es geht auch um die Frage, ob sie längerfristig im Job bleiben.
Junge Menschen gewinnen
“Ich halte das für eine gute Idee, dass man mit Pilotprojekten beginnt”, sagt Ulrike Famira-Mühlberger, stellvertretende Leiterin des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo). Die Ökonomin forscht unter anderem zu Pflegevorsorge und Sozialpolitik. “Die Befürchtung war, dass man viele, die sich vielleicht für den Beruf interessieren, durch das fehlende Angebot nach der Schulpflicht verliert”, sagt sie.

Ein Gegenargument für den frühen Ausbildungsstart ab 15 Jahren war, dass das zu früh sei und sich das Interesse für den Beruf erst später entwickle. “Das ist eine gute Lösung, dass nun eventuelle Fallstricke durch das Pilotprojekt entdeckt werden und dadurch eventuell noch nachgeschärft werden kann”, sagt die Expertin.
Famira-Mühlberger geht aber nicht davon aus, dass die Pflegelehre ein “Massenprogramm” wird: “Das Argument, dass das ein Wunschberuf von Pflichtschulabgängern wird, wird vermutlich nicht oft zutreffen. Aber es kommt auch darauf an, wie das Programm verkauft wird und Interessenten rekrutiert werden.”

Nur ein Baustein
Die hohen Steigerungsraten für die Nachfrage an Pflege kommen erst in zehn Jahren, wenn die Babyboomer-Generation in ein pflegebedürftiges Alter kommt, sagt die Wifo-Expertin. Insofern sei es gut, wenn bereits jetzt unterschiedliche Wege ausprobiert werden. “Aber es muss auf sehr vielen Ebenen etwas passieren”, sagt Famira-Mühlberger. Positiv hebt sie auch das Pflegestipendium hervor, das verstärkt Umsteiger ansprechen soll.
Die andere Ebene sind Arbeitskräfte aus dem Ausland, sagt die Wifo-Expertin: “Ohne Migration wird es in der Pflege nicht gehen. Das ist jetzt schon so und wird sich noch verstärken.” Es gelte nun bei den Nostrifikationen und den zusätzlichen Ausbildungstools nachzuschärfen. Auch bei Arbeitsmarktservice (AMS) könnten Ausbildungsprogramm im Bereich Pflege noch stärker angeboten werden.
Bis zu 1000 Lehrlinge geplant
Ein Vollausbau wird sich danach richten, wie die Erfahrungen sind, sagt Rauch und will daher noch keinen genauen Zeitplan vorlegen. Wichtig sei auch die Kooperation in den Bundesländern. Im Vollausbau soll es bis zu 1000 Lehrlinge geben, so Kocher. Ausbildungsstätten werden etwa Krankenhäuser und Pflegeheime sein. “Ich bin zutiefst überzeugt davon, dass das eine Erfolgsgeschichte wird”, sagte Rauch.
Noch vor dem Sommer wird der Nationalrat die notwendigen Gesetzesänderungen durchwinken, dann steht einem Start der Pflegelehre im Herbst nichts mehr im Weg. Sollte es wohl auch nicht, denn allein Vorarlberg benötigt bis 2030 rund 2300 zusätzliche Pflegekräfte.