Keine “Denkzettelwahl” in Erdbebengebieten

Politik / 15.05.2023 • 22:49 Uhr
Auch in den von verheerenden Erdbeben betroffenen Gebieten setzen sich viele Frauen für Erdogan ein.AFP
Auch in den von verheerenden Erdbeben betroffenen Gebieten setzen sich viele Frauen für Erdogan ein.AFP

Beobachter überrascht der Wahlausgang in der Türkei bislang nicht.

Wien, Schwarzach Rund 64 Millionen Menschen waren am Sonntag in der Türkei zur Stimmabgabe bei der Präsidentenwahl aufgerufen, davon rund 3,4 Millionen im Ausland. Der amtierende Präsident Recep Tayyip Erdogan bekam zwar weniger Stimmen als bei den letzten Wahlen, verfehlte die absolute Mehrheit und muss in die Stichwahl. Laut dem Vorarlberger Politikwissenschaftler Hüseyin Cicek ist es dennoch keine „Denkzettelwahl“ gewesen.

Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu (74) lag nach dem vorläufigen Endergebnis mit 44,88 Prozent knapp hinter Erdogan (69) mit 49,51 Prozent. „Erdogan konnte zwar an seine Erfolge der letzten Wahlen nicht anknüpfen. Aber seine Partei hat im Parlament noch mehr Sitze als Kilicdaroglu und sein Oppositionsbündnis“, sagt Cicek. Die schlechte Wirtschaftslage und das Erdbeben am 6. Februar und der Umgang damit habe die Wähler nicht zur Opposition getrieben.

Herausforderer hätte es schwer

Falls Kilicdaroglu im zweiten Durchgang gewinnen sollte, werde das Regieren schwer, so Cicek: „Die AKP hat im Bündnis mit der MHP im Parlament noch die Nase leicht vorne. Entscheidungen eines künftigen Präsidenten, der nicht Erdogan ist, könnten sie ins Leere laufen lassen.“ Offen ist nun neben der Stichwahl, wen Sinan Ogan von der ultranationalistischen Ata-Allianz, der fünf Prozent gewann, unterstützen wird. 

Das Ergebnis für die gleichzeitig abgehaltene Parlamentswahl lag noch nicht vor. Wie die staatliche türkische Agentur Anadolu informiert, haben die in Österreich lebenden Türken zu rund 72 Prozent für Erdogan gestimmt. „Die AKP hat seit 2002 die Strategie, die Auslandstürken sehr stark zu betreuen“, erklärt das Cicek.

Auch Landtagsabgeordnete Vahide Aydin (54, Grüne) und der Gemeindepolitiker Halil Ilgec (45, ÖVP), der für ein Vorarlberger Unternehmen vier Jahre lang in Izmir tätig war, überrascht der Ausgang nicht wirklich. Ilgec verweist auf den Wahlausgang in den Erdbebengebieten, wo Erdogan noch kürzlich heftig kritisiert worden war. „Dort hat er in neun von zehn betroffenen Regionen gewonnen.“ Erdogan präsentiere sich als starker Mann, so Ilgec: „Das alles scheint auch in Krisen zu reichen.“

Aydin, die seit 2009 für die Grünen im Landtag sitzt, hat den Eindruck, dass die Treue zu Erdogan bei vielen Türken trotz der vielen Krisen ungebrochen scheint. „Mir wurde berichtet, dass sich etwa in den Erdbebengebieten vor allem die Frauen für Erdogan mächtig ins Zeug warfen. Sie gingen von Haustür zu Haustür, um für ihn zu werben. Seine Wahlbewegung ist einfach stark.“ Das habe natürlich auch mit der sehr konservativ und religiös geprägten Region zu tun. 

Wahllokale in Wolfurt wieder offen

Im Generalkonsulat in Wolfurt sind die Wahlurnen für die Stichwahl vom 20. bis 24. Mai wieder zugänglich. VN-HK, JUS

„In den Erdbebenregionen hat Erdogan in neun von zehn betroffenen Regionen gewonnen.“