Brüchige Berge, heiße Nächte
Der Bergsturz oberhalb des benachbarten Galtür zeigt, was passiert, wenn Permafrost durch Klimaerwärmung schmilzt. Insgesamt eine Million Kubikmeter Gestein brach beim Felssturz ab – die Ladung von unvorstellbaren 120.000 Lkw. Ursprünglich war der Gipfel 3399 Meter hoch, jetzt ist der Berg heruntergesetzt auf 3380 Meter.
So wie die Straßenmeisterei im Frühjahr brüchiges Gestein von den Felswänden klopft, werden wir uns an vermehrte Muren und Steinschläge gewöhnen müssen. Mit zunehmender Erwärmung ist der Befund “Stark wie ein Felsen” auch in Vorarlbergs steilen Alpentälern ein Wert der Vergangenheit.
Die letzten Tage brachten Temperaturrekorde: 36,2 Grad Celsius waren es im oberösterreichischen Salzkammergut tagsüber und in Niederösterreich in Oberndorf an der Melk gleich 36 Grad bei Nacht – ungekannte meteorologische Phänomene in unseren Breiten. So heiß war es noch nie.
Die hohen Temperaturen gehen einher mit geringen Niederschlägen. Die Auswirkungen beklagen aktuell auch viele Vorarlberger Hausbesitzer in ihren Vorgärten. Der Rasen ist braun. Platzwarten gleich stehen Hausbesitzer abends im Vorgarten und versuchen mit Gardena-Schlauch und Sprinkler zu retten, was noch zu retten ist. Dann kommt der Starkregen und viel zu viel Wasser. Die Risse in der Erde bleiben.
Im trockenen Kalifornien ist es übrigens längst ein Trend, die verdorrten, braunen Grasflächen mit grüner Sprühfarbe zu lackieren. Fake-Gras. Ein Geschäft, das bald auch bei uns florieren wird.
Nein, es ist nicht “halt ein heißer Sommer”. Wir leben in der heißen Zeit, die wir selbst verursacht haben. Einen sehr eindrücklichen Weg, das aufzuzeigen, hat der zwischenzeitlich weltbekannte Wissenschafter Ed Hawkins der Universität aus dem englischen Reading gefunden. Er verwandelt die Temperaturabweichungen von über 150 Jahren in bunte Strichcodes. Blau für kältere Jahre, rot für wärmere Jahre. Für Feldkirch sehen Sie die sogenannten “Warming Stripes” hier abgebildet. Es ist kein Zufall. Die Erwärmung schreitet unerbärmlich voran.
Neben der Eindämmung des Klimawandels, derer wir uns hier und heute mit voller Kraft annehmen müssen, ist es zwischenzeitlich ebenso absehbar, dass es unweigerlich wärmer werden wir. Wir sind viel zu langsam mit Gegenmaßnahmen. Also rücken Anpassungsmaßnahmen kurzfristig in den Vordergrund. Wärmepumpen, die im Sommer kühlen. Zu Hause erfrischende Rückzugsorte zu schaffen, ein schattiges Plätzchen. Notdürftig aufgestellte Sprühvernebler bringen da wenig. Unsere Innenstädte werden immer noch zubetoniert und -asphaltiert, viel zu wenig Grün, viel zu wenig Schatten. In Bregenz, in Dornbirn, in Feldkirch.
Wir müssen auch in Vorarlberg dringend Maßnahmen setzen, so schnell wie möglich auf den richtigen Klimapfad zu kommen. CO2 ist geruchlos und unsichtbar. Die Auswirkungen der zu hohen CO2-Konzentration in der Atmosphäre und der dadurch ausgelösten Mechanismen sind alles andere als unsichtbar.
Gerold Riedmann ist Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten.
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