Gerold Riedmann

Kommentar

Gerold Riedmann

Sebastian Kurz, Social-Media-Schattenkanzler

Politik / 30.06.2023 • 22:49 Uhr

Der ehemalige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hält sich auf Facebook und Instagram im Gespräch. Als eine Art Social-Media-Schattenkanzler gratuliert er den Vätern zum Vatertag, Müttern zum Muttertag, hält Neujahrsansprachen – und dokumentiert Reisen. Wenn er nach Budapest fliegt, oder in die Wüste. Oder nach China, wie derzeit.

Die 308.000 Follower auf Instagram und knapp eine Million auf Facebook sind gemessen an den insgesamt etwas mehr als 100.000 Followern von Bundeskanzler Karl Nehammer eine wahre Wucht. Auch FPÖ-Chef Herbert Kickl oder “FPÖ TV” hängt Kurz um Längen ab. In einem Wahlkampf wiegen solche Kanäle wie Gold. Derzeit postet Kurz dort dezent Urlaubsbilder oder vermeintlich entlastendes Material. 

Dass einige Wegbegleiter in ein gemeinsames Büro am Wiener Ring gezogen waren, befeuerte den Verdacht, etwas könnte im Entstehen sein. Kurz, Elisabeth Köstinger oder Gernot Blümel, der aus Zürich wieder nach Wien übersiedelt ist. Dieser Tage geisterten Rückkehr-Gerüchte stärker als sonst durchs Regierungsviertel. Denn es wurde erwartet, dass es eine erste Entscheidung über Anklage oder Einstellung eines Verfahrens gegen Kurz gibt. Dem Ex-Kanzler wird vorgeworfen, vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss falsch ausgesagt zu haben. Seit Mitte April liegt ein Akt der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) im Justizministerium. Käme es tatsächlich zu einer Anklage, müsste Kurz vor Gericht. Und würde das Verfahren eingestellt, könnte das eine Startrampe sein, die über die öffentliche Reinwaschung zur Wiederkehr führt. 

Denn die ÖVP benötigt dringend neue Lichtgestalten. Einen, ein wenig nur wie Kurz. Oder eben halt Kurz selbst. Die Partei ist wieder ähnlich unspektakulär geworden, wie sie lange war. Aber ob Kurz zurückkommen könne, ob die Menschen ihn verstärkt wählen würden – höchst umstritten wie unklar. 

Eine Strategie liegt in der Schublade: Als 2019 Kurz per Misstrauensantrag des Amtes enthoben wurde, lautete der Slogan “Das Parlament hat bestimmt. Das Volk wird entscheiden.” Die Kampagne ist also logisch, der Chef-Kommunikator ist damals wie heute derselbe: Gerald Fleischmann, Mr. Message Control.

“Doch geht das?”, fragen gemäßigtere Kreise. Es wäre ein schwieriger Weg. Aber ein Weg, der nicht auszuschließen ist. Wir lernen in der Politik, international von Donald Trump, national von Herbert Kickl: Offenbar geht irgendwie alles – oder jedenfalls viel mehr, als wir uns vorstellen können oder wollen. Auch Kurz müsste sehen: Zu viel ist ungeklärt, die Falschaussage-Causa ist der kleinste Ermittlungsast, alles andere hängt noch in der Luft.

Sebastian Kurz wollte selbst in den guten Zeiten überpräsent im Licht der Öffentlichkeit sein. Er war und ist es somit auch in seinen schlechten Zeiten. Kurz, der im August 37 Jahre alt wird, hat in seiner Polit-Karriere in jungem Alter mehr erlebt als andere in ihrem ganzen Leben. 

Die Social-Media-Avancen und Auftritte des Ex-Kanzlers zeigen vorwiegend eines: Die Politik-Bühne fehlt Sebastian Kurz erheblich (er würde das freilich niemals zugeben).