„Nur noch eingeschränkt neutral“

Politik / 09.07.2023 • 16:00 Uhr
„Nur noch eingeschränkt neutral“
Absichtserklärung zu „Sky Shield“ wirft neue Fragen auf: Österreichs Verteidigungsministerin Tanner (r.) mit Amtskollegen Boris Pistorius (Deutschland) und Viola Amherd (Schweiz). Foto: APA, VN

Völkerrechtler Janik versteht jeden, der verwirrt ist, aber auch die Politik, die dazu beiträgt.

SCHWARZACH. Ist Österreich noch neutral? Im Gespräch mit den VN antwortet der Völkerrechtler Ralph Janik weder mit „Ja“ noch mit „Nein“. Stattdessen erklärt er: „Aufgrund der EU-Mitgliedschaft nur noch eingeschränkt.“ Und jetzt, durch die geplante Beteiligung an „Sky Shield“, einem europäischen Luftverteidigungssystem, das mit der EU nichts zu tun hat, wird die Sache nicht einfacher. Doch eins nach dem anderen.

„Nur noch eingeschränkt neutral“
Österreich ist neutral, durch die EU aber Teil eines Verteidigungsbündnisses. FOTO: APA

Österreich ist nach wie vor neutral im Sinne des Neutralitätsgesetzes: Damit hat es sich selbst verpflichtet, niemals einem militärischen Bündnis beizutreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiet zuzulassen. Daran hält es sich nach wie vor. Zumal damals, als das Gesetz beschlossen wurde, mit „militärischen Bündnissen“ die NATO gemeint war, wie Janik betont.

Zu Unterstützung verpflichtet

Aufgrund der EU-Mitgliedschaft sei man jedoch Teil eines Verteidigungsbündnisses, so der 37-Jährige. Und als solcher bekennt man sich ausdrücklich zur Mitwirkung an der „Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“. Wie weit sie geht, wird in einem Absatz des EU-Vertrags (bzw. des dortigen Artikels 42) deutlich: „Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung“, heißt es darin. Wobei offengelassen wird, wie diese Unterstützung ausschauen muss und nicht zuletzt auch dem neutralen Österreich ein Spielraum gelassen wird.

Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von APA Livecenter angezeigt.

Dennoch bleibt die Frage an Janik: Kann man halbschwanger sein? „Ja, das geht schon“, meint er: „So richtig knackig wird es in Bezug auf die Neutralität erst, wenn es zu einem Krieg kommt und ein EU-Mitglied angegriffen wird. Bis dahin ist vieles graue Theorie.“

„Nur noch eingeschränkt neutral“
Man könne halbschwanger sein, sagt Janik in Bezug auf die Neutralität. FOTO: Elisabeth Pfneisl

Erwarten, dass mit Ausnahme weniger Expertinnen und Experten hier noch irgendjemand durchblickt, kann man aber kaum noch. Janik, der an der Wiener Sigmund Freud Privatuniversität zum Thema Kriegsrecht forscht, zeigt Verständnis dafür: „Ich verstehe jeden, der verwirrt ist. Ich verstehe aber auch die Politik. Wobei es sehr wohl Versuche gab, das offen zu kommunizieren. Anfang der 2000er etwa oder später, als man festgestellt hat, Österreich sei eher bündnisfrei als neutral. Aber das hat kaum jemanden interessiert.“

Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von APA Livecenter angezeigt.

Jetzt ist es ernst geworden, haben derartige Fragestellungen im Lichte des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine eine ganz andere Dimension erhalten. Zumal mit österreichischer (aber auch eidgenössischer) Beteiligung „Sky Shield“, ein gemeinsames Luftverteidigungssystem europäischer Staaten, geplant ist. Vieles wird dabei noch zu klären sein. Und vom Ergebnis wird abhängen, wie es sich in Bezug auf die Neutralität verhält.

Was problematisch wäre

„Je näher das einem Militärbündnis kommt, desto schwieriger wird es“, sagt Janik. „So lange es nur um Dinge wie Datenaustausch und eine gemeinsame Beschaffung von Abwehrsystemen geht, ist das aus Sicht der Neutralität völlig egal. Problematisch wird es, wenn es gemeinsame Kommandostrukturen geben oder das Ganze bei der NATO angesiedelt werden sollte.“

„Nur noch eingeschränkt neutral“
Deutsches Patriot-Abwehrsystem in Polen. Foto: REUTERS

Einfach ist gar nichts. Wie vielschichtig die Problemstellungen sind, verdeutlicht der Völkerrechtler beim fiktiven Beispiel, was wäre, wenn eine Rakete mit dem Ziel München über Ostösterreich fliegen würde. Dann wäre man auch aufgrund der Neutralitätserklärung dazu verpflichtet, die Unverletzlichkeit österreichischen Gebiets zu gewährleisten, so der Völkerrechtler. „Und dazu gehört auch der Luftraum.“ Mit anderen Worten: „Österreich darf kein neutrales Transitgebiet für Angriffe auf andere nicht-neutrale Staaten sein. Sonst könnte Deutschland die Rakete auf unserem Gebiet abschießen.“