Christian Rainer

Kommentar

Christian Rainer

Alaska dort, Abschiebung hier? Hängt zusammen!

Politik / 15.08.2025 • 11:24 Uhr

Zum Zeitpunkt, da dieser Text geschrieben wird, hat das Treffen Putin–Trump in Alaska noch nicht stattgefunden. Das Drehbuch kennen wir trotzdem: große Gesten, kleine Substanzen. Vielleicht sogar ein Abtausch Alaska gegen die Krim. Und dann, verkauft Trump die Krim den Ukrainer auf Raten – gegen Mineralrechte für 1000 Jahre. Realismus? Nein. Aber eine präzise Allegorie auf eine Welt, in der Europa nicht Regie führt, sondern Statisterie spielt.

          Das zweite große Thema dieser Woche ist scheinbar innenpolitisch und doch europäisch: Österreich hat einen wegen IS-Propaganda verurteilten Syrer nach Syrien abgeschoben – die erste derartige Rückführung aus einem EU-Land seit vielen Jahren. Empörung allenthalben. Der Mann sei „verschwunden“, heißt es. Man muss diese Aufregung nicht teilen, um das eigentliche Problem zu sehen: Ein System, das Asylstatus, Strafhaft, und Rückkehr schlecht taktet, produziert Rechtsunsicherheit und symbolische Politik – und am Ende misstraut jeder dem Ergebnis.

          Was verbindet Alaska und die Abschiebung? Dass Europa sich nicht gefunden hat. Kissingers alte Spöttelei von der nicht existenten Telefonnummer für „Europa“ ist inzwischen Bedienungsanleitung: Es klingelt überall, niemand hebt ab. Militärische Handlungsfähigkeit? Ein Debattierclub mit Uniformpflicht. Merz mimt den Härte-Kanzler, Macron den Feldherrn, London den souveränen Ex – und doch reicht es im Ernstfall kaum für eine gemeinsame Lagekarte. Wir hängen am Gängelband Trumps und fürchten zugleich, er könnte es durchschneiden.

          Migration? Das gleiche Muster. Europa hat kein konsistentes, rechtssicheres, durchsetzbares Verfahren von der Einreise bis zur Rückkehr. Wenn schon die Abschiebung eines rechtskräftig verurteilten IS-Terroristen zum Staatsakt gerät, braucht man sich über das übrige Chaos nicht zu wundern. Deutschland deportiert inzwischen Straftäter nach Afghanistan; Österreich tastet sich erst an Syrien heran. Prinzipien sind gut, Regeln sind besser, Vollzug ist am besten. Europa hat das erste, manchmal das zweite, selten das dritte.

          Österreich pflegt derweil den gepflegten Sonderweg. Neutral, natürlich. Neutralität als Allzweckreiniger, der jeden Schmutz wegwischt, den andere entsorgen müssen. Wir halten uns für Trittbrettfahrer, die keiner erwischt. Viel Glück damit, wenn in Alaska Weichen gestellt werden und die EU wieder nur den Schrankenwärter gibt.

          Was wäre zu tun? Weniger Selbstbespiegelung, mehr Kapazität. Eine gemeinsame Rüstungsbeschaffung, die diesen Namen verdient. Eine Migrationsarchitektur, die an der Einreiserealität und an Rückführungsabkommen gemessen wird, nicht am Erregungspegel. Eine Außenpolitik, die Prioritäten setzt und sie finanziert. Kurz: eine Telefonnummer, die jemand abnimmt – und eine Stimme, die zählt.

          Nachtrag, damit die Hausaufgaben stimmen: In der Vorwoche ging es hier um Lebensmittelpreise. Ja, Österreich ist teurer als Deutschland. Und ja, Arbeiterkammer und damit der Finanzminister berücksichtigen Aktionen, was der Handel mit Hinweis auf deren relative Häufigkeit im Vergleich zu Deutschland und in Reaktion auf den Minister bezweifelt hat. Was fehlt, sind die rabatthungrigen Loyalitätsprogramme, für die es keine offenen Daten gibt. Also: Aktionen und Steuerunterschiede seien eingerechnet. Rechnet man Clubkarten & Co. ein, schrumpft der Abstand – laut einer Studie der Wettbewerbsbehörde BWB aus 2023 – von 15 bis 20 Prozent auf zehn bis 15. Überraschung: Der Wirtschaftsminister hat nach Zögern Bewusstsein gezeigt (und auf seine Wähler und Wählerinnen geschielt) und Bewegung – in Brüssel und gegen die Lieferanten – angekündigt. Gut so: Wahrheit vor Pose, Umsetzung vor Empörung.

          Die Telefonnummer Europas? Bitte neu vergeben!