Vom Rocksänger und Tormann zum Präsidenten

Der ultraliberale Javier Milei wird Präsident Argentiniens.
Buenos Aires Nach seinem deutlichen Sieg bei der Präsidentenwahl in Argentinien hat der ultraliberale Populist Javier Milei eine radikale Kehrtwende in dem südamerikanischen Land angekündigt. „Heute beginnt der Wiederaufbau von Argentinien. Es gibt keinen Platz für Teilschritte, Lauheit oder halbe Sachen“, sagte der selbst ernannte „Anarchokapitalist“. „Wenn wir nicht schnell mit strukturellen Veränderungen vorankommen, steuern wir geradewegs auf die schlimmste Krise unserer Geschichte zu.“
55,69 Prozent
Der Kandidat der Partei La Libertad Avanza (Die Freiheit schreitet voran) lag nach der Stichwahl mit 55,69 Prozent deutlich vor Wirtschaftsminister Sergio Massa von der linken Unión por la Patria (Union für das Vaterland) mit 44,30 Prozent, wie das Wahlamt am Montag mitteilte. Sein neues Amt wird er am 10. Dezember antreten. Vor allem der Frust vieler Argentinier über die Dauerkrise und die Wut auf das politische Establishment dürften dem Außenseiter Milei zum Wahlsieg verholfen haben.
Inmitten einer schweren Wirtschaftskrise verspricht er einen Kurswechsel: Er will den US-Dollar als gesetzliches Zahlungsmittel einführen, die Zentralbank sowie viele Ministerien abschaffen und die Sozialausgaben kürzen. „Niemand mit so extremen Ansichten in Wirtschaftsfragen ist je zum Präsidenten eines südamerikanischen Landes gewählt worden“, sagte der Ökonom Mark Weisbrot vom US-Forschungsinstitut Center for Economic and Policy Research. „Er erkennt kaum eine legitime Rolle der Regierung in einigen der wichtigsten Politikbereiche an, die die meisten Menschen als notwendig für eine demokratische, humane und stabile Gesellschaft ansehen.“
Privates öffentliches Fernsehen
Gleich am Montag kündigte Milei die Privatisierung von Staatsbetrieben an. „Alles, was in den Händen des privaten Sektors sein kann, wird in den Händen des privaten Sektors sein“, sagte er. Unter anderem will Milei den staatlichen Energiekonzern YPF, das öffentliche Fernsehen und Radio sowie die amtliche Nachrichtenagentur Télam privatisieren.
Milei gilt als Exzentriker, der die argentinische Politik ordentlich aufgemischt hat: Er will den Waffenbesitz liberalisieren, ist gegen das Recht auf Abtreibung, glaubt nicht an den menschengemachten Klimawandel und schimpft den argentinischen Papst Franziskus einen Kommunisten. Zwar bedient er sich wie der ehemalige US-Präsident Donald Trump und der frühere brasilianische Staatschef Jair Bolsonaro einer Anti-System-Rhetorik, allerdings verzichtet er im Gegensatz zu seinen Vorbildern auf rechtsradikale Ausfälle und befürwortet etwa die gleichgeschlechtliche Ehe.
Die zweitgrößte Volkswirtschaft Südamerikas steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise. Die Inflationsrate liegt bei über 140 Prozent, rund 40 Prozent der Menschen in dem einst reichen Land leben unterhalb der Armutsgrenze.
Bei aller radikaler Rhetorik gehen viele Beobachter davon aus, dass Milei viele seiner Forderungen gar nicht im vollen Umfang umsetzen kann. Im Parlament hat er keine Mehrheit, sein Lager stellt keinen einzigen Provinzgouverneur, zudem fehlt ihm qualifiziertes Personal, um wichtige Schlüsselpositionen zu besetzen. Zuletzt mäßigte er sich bereits etwas im Ton und nahm Kontakt zu den traditionellen konservativen Kräften im Land auf, um die Lücken zu stopfen.
Legt er wirklich die Axt an die Sozialprogramme, von denen viele Argentinier abhängen, kann der politische Gegner ihm das Leben aber richtig schwer machen: Die linken Peronisten sind bis in die kleinsten Gemeinden bestens organisiert und jederzeit in der Lage, Argentinien mit Protesten lahmzulegen.
