Gerold Riedmann

Kommentar

Gerold Riedmann

Sie fühlen sich verkannt

Politik / 22.12.2023 • 18:25 Uhr

Dies ist die Geschichte des skurrilsten Pressetermins des Jahres. Geschehen vor zwei Wochen. Schauplatz: Ballhausplatz 2, Bundeskanzleramt, Raum 107.

Was ist dem Bundeskanzler aktuell wichtig, wo will er hin? Eine unregelmäßige, dafür aber umso kurzfristigere Einladung ins Bundeskanzleramt soll jeweils Einblick geben. Ursprünglich als Möglichkeit zum Gespräch gedacht, ist das sogenannte „Hintergrundgespräch“ mit gewissen Widersprüchen behaftet. Es handelt sich nur insofern um ein Hintergrundgespräch, als dass Zitate aus dem Gespräch in der späteren Berichterstattung verboten sind. Dennoch ist es eine Art Pressekonferenz, ohne dass darüber berichtet werden darf. Alle anwesenden, hochrangigen Redaktionsvertreter schreiben auf den bereitgestellten Bundeskanzleramt-Notizblöcken mehr oder weniger brav mit, hinterher gibt es eine vorgefertigte Pressemitteilung zum Mitnehmen und im Nebenzimmer sind TV-Kameras aufgebaut, um in den TV-Abendnachrichten vorzukommen. Nach der 18-Uhr-Sperrfrist erscheinen dann auf den allermeisten Nachrichtenportalen Texte, was Kanzler und Vizekanzler derzeit so meinen.

In diesem Fall luden Kanzler und Vizekanzler gemeinsam ein. Nicht das Einzige, was einigermaßen ungewöhnlich war. Sie saßen nebeneinander, ließen sich ausreden, ergänzten einander. So, als ob sie wechselseitig jeden angefangenen Satz voneinander zu Ende bringen könnten. Harmonie war angesagt. Ein vorweihnachtlicher Moment des Koalitionsfriedens, während sich Ministerinnen (grün) und Landeshauptleute (schwarz-türkis) weiter befetzten. Eine Bilanz der gemeinsamen Regierungsjahre wurde präsentiert, um Scheinwerferlicht auf das Erreichte zu werfen.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: diese Regierung hat Dinge hergebracht, an denen viele Regierungen vor ihr gescheitert sind. Die Steuerentlastung durch die Abschaffung der kalten Progression, beispielsweise. Nur wussten zu viele Österreicher vorher nicht, was die kalte Progression war und honorierten deshalb auch deren Abschaffung offenbar nicht im von der Regierung erwarteten Rahmen. Das Amtsgeheimnis, das aktuell etwas weniger geheim wird. Oder Reformen im Gesundheitsbereich, die die Rechte der mächtigen Ärztekammer beschneiden.

Der Kanzler und sein kompliziertes Verhältnis mit den Medien: den aktuellen Status muss man aus der Begleitmusik des Termins schließen. Nach den doppelten Eingangs-Monologen sagt des Kanzlers Pressesprecherin tatsächlich „Feuer frei!“ und meint damit, dass die Fragerunde beginnen möge. Jeder der anwesenden Chefredakteure quetschte viereinhalb Fragen in seine Frage, die dann von Kanzler und Vizekanzler doppelt beantwortet wurden. Aus den Antworten triefte sowohl bei Vizekanzler eine ordentliche Portion Ernüchterung, dass die Erfolge der Regierung von den Medien und damit auch der Allgemeinheit nicht erkannt, jedenfalls nicht ausreichend gewürdigt würden. Zu viele Sätze deuten darauf hin, dass es dem Land in der Regierungs-Realität eigentlich besser ginge, als das (an-)erkannt worden sei. Sie fühlen sich jedenfalls verkannt. Wieso spürt niemand, außer den beiden, dass es angeblich eh so gut läuft?

Zu diagnostizieren ist eine Verbindungsunterbrechung zwischen Regierung und den echten Menschen in diesem Land.

Als wir aus dem Konferenzraum 107 über weniger barocke Umwege – nämlich den Kanzlerabgang – zum Ausgang geleitet wurden, waren im Hof schon Punschhütten aufgebaut, ein Food-Truck stand dort auch. Ob er Burger zu des Kanzlers Weihnachtsfeier zubereitete? Ich weiß es nicht.

Auch im Elfenbeinturm ist mal Weihnachten.