Wider die Vernunft
Politikerinnen und Politiker sind in wesentlichen Zügen repräsentativ für die Gesamtbevölkerung. Das sollte man nicht vergessen. Es bedeutet, dass die meisten gut mit ihren Mitmenschen auskommen und beruflich größtmögliche Leistungen erbringen wollen. Man sollte jedoch nicht naiv sein: Sie sind Zwängen ausgesetzt. Am Ende des Tages muss ihr Tun auch auf den nächsten Wahltag ausgerichtet sein.
Schlecht? Woher, es entspricht demokratischer Logik, die allemal besser ist als die einer Diktatur. Das Problem ist, dass zunehmend nicht der Wahltag, sondern tagesaktuelle Umfragewerte maßgebend sind.
Das muss man bei der laufenden Corona-Aufarbeitung berücksichtigen. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat eingestanden, dass Fehler gemacht worden seien. Wie das halt so ist, wo gearbeitet wird. Stimmt. Aber nur zum Teil. Es geht um mehr. Kleines Beispiel: Im Vorfeld der oberösterreichischen Landtagswahl im September 2021 war man ausschließlich aus parteitaktischen Gründen nicht bereit, sich mit der Pandemie zu befassen. Sie durfte nicht sein. Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) und andere gingen davon aus, dass es negativen Einfluss auf das Ergebnis haben könnte. Also ließ man es eben – mit bekannten Folgen: Das Infektionsgeschehen konnte sich ungehindert ausbreiten, die Spitäler wurden überlastet und schließlich sah man sich zu einem Lockdown und zur Impfpflicht gezwungen. Das war alles zusammen schlicht und ergreifend fahrlässig.
Das Schlimme ist, dass diese Erfahrungen zu keiner besseren Politik führen. Wobei es kein Trost ist, dass das in Ansätzen vielleicht sogar nachvollziehbar sein mag: Politisch ist Corona zu einem Unthema geworden. Man kann nicht mehr vernünftig darüber reden. Wie es unter anderem von Türkisen gemieden wird, wird es von Herbert Kickl (FPÖ) einzig und allein ausgeschlachtet, um Stimmung zu machen. These: Der Inhalt ist ihm vollkommen egal. Er sieht nur den Wahlerfolg, den er da herausschlagen könnte. So ticken Populisten.
„Es ist ein Ablenkungsmanöver, so zu tun, als müsse man nur für weitere Pandemien lernen. Es geht ums Heute.“
Müsste man in einem Planspiel die Rolle des Bundeskanzlers und ÖVP-Obmannes übernehmen, man würde verzweifeln: Ausgerechnet die Wähler, die Sebastian Kurz zur ÖVP gezogen hat, holt sich Kickl jetzt nicht zuletzt durch Corona wieder zurück. Was soll man da auf die Schnelle machen?
Es ist so viel Schaden angerichtet worden, dass man mit klassischer Vernunft bis zu EU- und Nationalratswahlen in wenigen Monaten nicht mehr viel retten könnte. Andererseits: Muss man das als Bürger akzeptieren? Natürlich nicht.
Gerade jetzt, da in der Corona-Aufarbeitung Fehler eingestanden werden, muss man darauf hinweisen, dass es ein Ablenkungsmanöver ist, so zu tun, als müsse man nur für weitere Pandemien daraus lernen. Es geht ums Heute: Wo sind Corona- und Grippe-Informationsmaßnahmen, wo sind niederschwellige Impf- und Testangebote, wo sind Verhaltensempfehlungen für bevorstehende Großfamilientreffen? Eigenverantwortung schön und gut: Es ist wichtig, eine Masse mitzunehmen, der Eigenverantwortung bisher eher ausgetrieben worden ist. Zu viele Menschen erkranken schon wieder schwer, haben selbst zu leiden, belasten aber auch Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegerinnen und Pfleger, die ohnehin schon ausgebrannt sind.
Johannes Huber betreibt die Seite dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik.
Kommentar