Wallner ärgert sich über die Bundespolitik: „Wo sind wir eigentlich angekommen?“

Politik / 26.12.2023 • 15:00 Uhr
Markus Wallner im Interview über Straßen, Kredite und Koalitionen. <span class="copyright">VN/Paulitsch</span>
Markus Wallner im Interview über Straßen, Kredite und Koalitionen. VN/Paulitsch

Landeshauptmann Wallner ärgert sich über das Bild der Politik, das die Bundesebene abgibt. Und er spricht über den Stadttunnel.

Interview: Gerold Riedmann & Michael Prock

Bregenz Vorarlberg und seine Straßen. Vor dem Landtag demonstrieren mittlerweile während jeder Sitzung Klimaschutzaktivistinnen und -aktivisten gegen den Feldkircher Stadttunnel. In Lustenau wurde die Bevölkerung über ihre Meinung zur CP-Variante der S 18 befragt – bei niedriger Wahlbeteiligung sprachen sich mehr als 70 Prozent dagegen aus. Zudem liegt der ÖVP-Teil der Landesregierung mit dem grünen Teil der Bundesregierung im Clinch. Das Infrastrukturministerium würde bei der S 18 bremsen, ärgert sich Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP). Im VN-Interview spricht er über beide Straßen und blickt nach vorne. Schließlich finden im kommenden Jahr mehrere Wahlen statt.

Herr Wallner, was sind für Sie die drückendsten Probleme der Vorarlbergerinnen und Vorarlberger?

Wallner: Nach wie vor die Teuerung. Das spürt man bei jedem persönlichen Kontakt. Wir haben als Land getan, was man tun kann. Aber das Thema drückt nach wie vor. Wichtig ist, dass man gezielt hilft, ohne die Inflation anzuheizen. Also ohne Gießkanne.

Ist der hohe Beamtenabschluss nicht auch etwas, was die Inflation anheizt?

Wallner: Da haben wir uns mit Experten beraten, und die sagen: eigentlich nicht. Sie sind rundherum der Meinung, dass die Inflation abgegolten werden muss. Die hohen Lohnabschlüsse sind jedem zugestanden. Es ist wichtig, dass die Kaufkraft erhalten bleibt. Aber die Abschlüsse belasten auch die Wirtschaft und die öffentlichen Haushalte enorm. Es darf nicht so weitergehen.

Die Sorge der Teuerung ist also groß. Müssen wir uns auch wieder im Winter über ausbleibende Gaslieferungen sorgen?

Wallner: Wir sind gut aufgestellt. Die Gasspeicher sind voll, die Durchleitung ist gesichert. Die Verträge stehen.

„Wir sind gut aufgestellt. Die Gasspeicher sind voll, die Durchleitung ist gesichert. Die Verträge stehen.“ <span class="copyright">VN/Paulitsch</span>
„Wir sind gut aufgestellt. Die Gasspeicher sind voll, die Durchleitung ist gesichert. Die Verträge stehen.“ VN/Paulitsch

Wie sind wir wirtschaftlich aufgestellt? Worauf müssen wir uns gefasst machen?

Wallner: Es gelingt uns schon, auf Stärken zu setzen. Aber man merkt eine gewisse Anspannung. Die Auftragslagen gehen zurück, der Arbeitsmarkt verschlechtert sich ein wenig. Wir haben mehr als 10.000 Arbeitslose. Gleichzeitig haben wir einen hohen Fachkräftebedarf. Nur korrespondiert das nicht miteinander, und das ist die Herausforderung. Wir müssen auf Qualifizierung und qualifizierten Zuzug setzen. Unser großer Vorteil ist die Branchenvielfalt. Der Einbruch der Bauwirtschaft ist unangenehm, aber er wirft uns nicht aus der Bahn. Die Wintersaison beginnt gerade sensationell.

Aber der Rückgang in der Baubranche wird sich schon auswirken.

Wallner: Ja, das ist so. Das hat verschiedene Ursachen: der Gesamtmarkt, die Zinsentwicklung, die steigenden Baukosten. Aber auch die Rahmenbedingungen, die uns jeden Tag ärgern. Nämlich die Kreditvergabe-Richtlinie der Finanzmarktaufsicht. Die werden wir nie akzeptieren. Sie wird erst 2025 auslaufen, das ist viel zu spät.

Hat die Behörde das Häuslebauertum in Vorarlberg gestoppt?

Wallner: Sie hat es jedenfalls deutlich erschwert. Die Finanzmarktaufsicht hat eine wichtige Aufgabe, und ich will nicht über eine Behörde schimpfen. Aber wenn die Entscheidung so weit geht, dass sie eine ganze Branche zum Erlahmen bringt, dann entsteht ein gewisser Ärger. Bei uns gibt es praktisch keine Kreditausfälle. Was mich am meisten stört, ist, dass in Österreich das Risiko an Konsumenten übergeben wird. In Deutschland trägt das Risiko die Bank, bei uns der Einzelne. Bei uns bekommt ein Ärzteehepaar mit 4000 Euro netto keinen Kredit für das Haus. Und dann siehst du dir die Signa-Pleite an. Dass da Ärger aufkommt, kann niemand übersehen.

„Bei uns bekommt ein Ärzteehepaar mit 4000 Euro netto keinen Kredit für das Haus. Und dann siehst du dir die Signa-Pleite an.“ <span class="copyright">VN/Paulitsch</span>
„Bei uns bekommt ein Ärzteehepaar mit 4000 Euro netto keinen Kredit für das Haus. Und dann siehst du dir die Signa-Pleite an.“ VN/Paulitsch

Lassen Sie uns in die Zukunft blicken. Was einst als A 15 begann, heißt längst S 18. Wie hoch ist die Umsetzungswahrscheinlichkeit? Ist es überhaupt zeitgemäß, eine neue hochrangige Straße zu bauen?

Wallner: Zeitgemäß halte ich die S 18 auf jeden Fall. Es ist ein Strickfehler im Rheintal, dass die beiden Autobahnen über Jahrzehnte nicht verbunden sind. Derzeit läuft der Verkehr ungebremst durch die Dörfer, Lustenau ist ein Hotspot. Die Verbindung wird vielleicht das letzte wirklich große Entlastungsprojekt für Vorarlberg. Wir wollen in dem Bereich gar nicht mehr so viel machen. Wir reden noch von zwei großen Entlastungsprojekten: der S 18 und dem Stadttunnel. Ansonsten sind wir eher bestrebt, den Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern. Aber die zwei Autobahnen müssen wir verbinden. Da sind wir leider von der Ministerin gestoppt worden. Und das nach einem zehnjährigen konsensorientierten Planungsverfahren. Nur, dass sich manche nicht mehr an den Konsens erinnern. Die Ministerin ist quer drüber gefahren. Ich habe den Eindruck, dass da momentan von oben blockiert wird.

Welche Rolle kommt der Abstimmung in Lustenau zu?

Wallner: Es war der falsche Zeitpunkt für eine Befragung. Die Fragestellung war schwierig. Es ist schwer verständlich, was man sich von dieser Fragestellung erwarten kann. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem man das Projekt im Detail noch gar nicht kennt. Weiß man in Lustenau, dass eine komplette Unterflurführung eine Möglichkeit wäre? Das kann in der Frage, wie das Ried behandelt wird, eine gute Lösung und eine bodensparende Variante sein. Das kann man heute klimatauglich machen.

Sie haben auch den Stadttunnel angesprochen. Ist das geplante Projekt in Stein gemeißelt? Oder kann es auch zu einer Light-Version mit nur einem Tunnelast kommen?

Wallner: Wir haben von Beginn an in zwei Bauetappen gedacht. Wir schauen uns das genau an, eine Entscheidung ist noch ausständig. Das Gesamtprojekt ist genehmigt, inklusive der beiden Etappen, also auch des Kreisverkehrs und des Astes nach Tosters. Das ist im UVP-Verfahren so durchgegangen, es gibt eine Gerichtsentscheidung dazu. Was mich ärgert, ist, dass Gerichtsentscheidungen nicht mehr akzeptiert werden. Ich meine, wie demokratisch ist es, sich mit Plakaten an einen Baukran zu hängen, wenn ich eine fixe Gerichtsentscheidung auf dem Tisch habe? Man kann nicht mehr tun, als ein Projekt bis zum Ende auszujudizieren. Alle Gegner konnten ihre Einsprüche einbringen. Wir haben das auch aushalten müssen.

Das heißt, auch ein kleinerer Stadttunnel mit einem Ast ist eine Variante?

Wallner: Das ist nicht endgültig entschieden. Das Gesamtprojekt ist genehmigt, und wir haben uns committet, die erste Bauetappe in dieser Legislaturperiode anzugehen. Das ist unterschrieben. So wie die Planungen sind, kann man in der nächsten Legislaturperiode zu einer Entscheidung kommen, wie es weitergeht.

Rund 250 Millionen Euro kostet der Stadttunnel in den kommenden Jahren noch. Das ist also sicherlich auch eine finanzielle Frage?

Wallner: Ja. Das ständige Protestieren und die permanente Beeinspruchung machen die Sache auch teurer und nicht billiger. Wenn es nach mir geht, muss das Projekt als Ganzes realisiert werden. Wir können darüber reden, in welchen zeitlichen Etappen die Finanzierung ist. Aber im Großen und Ganzen ist klar, ich will das Projekt nicht filetieren. Optimale Wirkung erreichen wir mit dem Gesamtprojekt.

„Wie demokratisch ist es, sich mit Plakaten an einen Baukran zu hängen, wenn ich eine fixe Gerichtsentscheidung auf dem Tisch habe?“<span class="copyright">VN/Wallner</span>
„Wie demokratisch ist es, sich mit Plakaten an einen Baukran zu hängen, wenn ich eine fixe Gerichtsentscheidung auf dem Tisch habe?“VN/Wallner

Werfen wir noch einen Blick nach Wien. Wie zufrieden sind Sie mit dem Bild, das die Bundespolitik abgibt?

Wallner: Gar nicht. Die Rückmeldungen aus der Bevölkerung nehmen teils beunruhigende Ausmaße an. Man muss sich nur ehrlich fragen, wie es einem selber damit geht. Wer dann und wann eine Parlamentsdebatte verfolgt, der denkt sich: Hat man eigentlich noch ein Mindestmaß an Respekt und Sprache? Wo sind wir eigentlich angekommen? Diese Verrohung, die da stattfindet, permanentes Politik machen durch Anzeigen, Untersuchungsausschüsse, deren Bedeutung eher fraglich ist. Was sollen sie bringen, ein paar Monate vor der Wahl? Es wäre höchst an der Zeit, dass ein Mindestmaß an Tonlage und Respekt gefunden wird. Ich weiß gar nicht, wen man da ausnehmen kann, wahrscheinlich gar nicht so viele. Das ist ein Bild, das die Leute wirklich stört.

Ist es im Land anders?

Wallner: Ich habe den Eindruck, wir bemühen uns im Landtag, das besser zu machen. Die Tonlage in der Budgetdebatte war nicht mal ansatzweise mit jener auf Bundesebene vergleichbar. Man kann auch anders. Bei uns war es zwar auch schon schärfer, aber zum jetzigen Zeitpunkt wäre es angemessen zu sagen: Behaltet den Respekt, übernehmt eine gewisse Vorbildfunktion und gewöhnt euch eine Tonlage des Umgangs miteinander an, der demokratisch gewählten Funktionen entspricht.

„Wenn uns Frau Gewessler im Land erklärt, wie die Verkehrspolitik zu laufen hat, und unsere Grünen nur hinterherspringen, dann werde ich unruhig.“ <span class="copyright">VN/Paulitsch</span>
„Wenn uns Frau Gewessler im Land erklärt, wie die Verkehrspolitik zu laufen hat, und unsere Grünen nur hinterherspringen, dann werde ich unruhig.“ VN/Paulitsch

Im kommenden Jahr wird gewählt. Käme danach auch die FPÖ als Koalitionspartner infrage?

Wallner: Das ist eine beliebte Frage vor Wahlen. Es ist auch berechtigt zu sagen, mit wem man Koalitionen bilden möchte. Die Vergangenheit hat aber gezeigt, dass viele Koalitionsansagen falsch waren. Ich habe nie irgendeine Partei im Landtag ausgeschlossen. Mir sind andere Dinge wichtig. Also etwa, wie viel Eigenständigkeit möglich ist oder ob jemand ferngesteuert wird.

Wird Christof Bitschi von Herbert Kickl ferngesteuert?

Wallner: Das wird man feststellen, im Wahlkampf und darüber hinaus.

Würden Sie auch mit zwei Parteien koalieren?

Wallner: Da bin ich extrem zurückhaltend. In Deutschland scheitert das gerade spektakulär. Aber Prognosen sind schwierig. Für Vorarlberg ist eine eigenständige Linie wichtig. Wenn ich den Eindruck habe, jemand wird ferngesteuert, dann wird es unruhig. Das kann man auch bei anderen erkennen. Wenn uns Frau Gewessler im Land erklärt, wie die Verkehrspolitik zu laufen hat und unsere Grünen nur hinterherspringen, dann werde ich unruhig und frage: Haben sie jetzt eine eigene Haltung im Land oder nicht? Wenn Herr Bitschi Herrn Kickl die Schuhe poliert, wird es auch schwierig.