Julia Ortner

Kommentar

Julia Ortner

Von Zuversicht und Zweckoptimismus

Politik / 01.01.2024 • 14:45 Uhr

Die Dinge werden sich zum Guten wenden, wenn man nur genug daran glaubt, brav genug daran arbeitet, engagiert genug darüber spricht: In einer Welt, in der auch viel Dunkelheit, Konflikt und Ungewissheit ist, neigen manche gerade jetzt am Beginn eines neuen Jahres zum Versprühen von Optimismus. Dieser Zweckoptimismus fokussiert sich immer auf das gute Ende und lässt damit wenig Spielraum für die Realität des Lebens – damit werden die Optimismus-Gläubigen auch anfälliger für Traurigkeit und Verzweiflung, falls die Wunschvorstellung doch nicht so eintreten sollte wie ersehnt. Ein sorgenvoller Gedanke hin und wieder kann davor bewahren, denn wie der große dänische Philosoph Søren Kierkegaard schon im 19. Jahrhundert feststellte: „Die Sorge ist das Verhältnis zum Leben.“
Alleine mit dem sorgenvollen Blick in die Zukunft werden wir natürlich nicht weiterkommen. Es wäre allerdings sinnvoller, die Zuversicht dem Zweckoptimismus vorzuziehen. Die Zuversicht sieht die Welt in kühleren Farben, sie kann uns helfen, schwierige Situationen und Probleme nicht auszublenden, wenn wir mit ihnen konfrontiert sind. Die Zuversicht orientiert sich auch daran, ob man einen Sinn im eigenen Handeln sieht, egal, wie bedrückend die Lage sein mag. Der Wiener Psychiater Viktor Frankl, Begründer der Existenzanalyse, hat diesen Leitgedanken in seiner Arbeit besonders eindrücklich umgesetzt. Er hatte das Konzentrationslager Ausschwitz überlebt und schrieb später Grundlegendes über den Sinn und die Sinnerfahrung im Leben des Menschen, zum Beispiel auch das: „Die Spielregeln des Lebens verlangen von uns nicht, dass wir um jeden Preis siegen, wohl aber, dass wir den Kampf niemals aufgeben.“ Die Zuversicht kann uns die Kraft geben, weiterzumachen.

„Die Zuversicht orientiert sich auch daran, ob man einen Sinn im eigenen Handeln sieht, egal, wie bedrückend die Lage sein mag.“

Trotzdem weitermachen. Diese Haltung ist besonders bei den Menschen gefordert, die heute mit Not, Krieg, Verzweiflung konfrontiert sind. Und wenn man aus Entfernung eines wohltemperierten Landes wie Österreich zum Beispiel sieht, wie der Angriffskrieg in der Ukraine immer mehr zu einem schrecklichen Abnutzungskrieg oder Erschöpfungskrieg wird oder wie der Krieg nach dem brutalen Terror-Angriff der Hamas auf Israel wieder die Gräben im Nahen Osten aufreißt und die alten Konflikte befeuert – dann erkennt man, wie schwierig es sein kann, die Zuversicht zu bewahren.
Doch mitten in dieser Apokalypse – ja, das ist eine Apokalypse für die Betroffenen, nicht die manchmal hochgeschraubten Panik-Debatten mancher auf Social Media – gibt es immer wieder Geschichten über das, was uns Menschen auch auszeichnet: Zusammenhalt, Mitgefühl und das Ringen um eine bessere Zukunft.

Julia Ortner ist Journalistin mit Vorarlberger Wurzeln, lebt in Wien und arbeitet für den ORF-Report.