Polaschek im VN-Interview zum Lehrermangel: “Werden noch zwei bis drei Jahre erhöhten Bedarf haben”

Politik / 04.01.2024 • 19:07 Uhr
Für sein Interview mit den Vorarlberger Nachrichten war Martin Polaschek aus Wien in die Redaktion nach Schwarzach zugeschaltet. <span class="copyright">VN/Roland Paulitsch</span>
Für sein Interview mit den Vorarlberger Nachrichten war Martin Polaschek aus Wien in die Redaktion nach Schwarzach zugeschaltet. VN/Roland Paulitsch

Der Bildungsminister im Gespräch über die Vision der Gemeinsamen Schule, den andauernden Lehrermangel, die PH Vorarlberg und einen möglichen Nationalratswahlkampf.

Von Klaus Hämmerle und Maximilian Werner

Wien Die Ergebnisse der PISA-Studie nehme er sehr ernst, von einer Vision der Gemeinsamen Schule hält er wenig, die größte Herausforderung der nächsten Jahre sei weiterhin der Lehrermangel: Martin Polaschek, parteifreier, aber von der ÖVP nominierter Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung, nahm im VN-Interview zu den aktuellen Fragen im Bereich Bildung und Schule Stellung. Gerne würde er auch nach den Nationalratswahlen Minister bleiben, gestand der Universitätsprofessor. Die Vorwürfe gegen den Rektor der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg, Gernot Brauchle, werde man prüfen.

Die OECD sieht eine klare Korrelation zwischen erster Selektion im Bildungssystem und Leistungsdifferenzen von Schülern unterschiedlicher sozioökonomischer Stufen. In Österreich wird aber mit zehn Jahren erstmals geteilt, im OECD-Schnitt mit 14. Was wissen Sie besser?
Polaschek Diese Diskussion haben wir schon öfter geführt. Ich stehe dazu, dass unser System für Österreich das Passende ist, ich halte nichts davon, vom differenzierten Schulsystem abzukehren. Zu differenzieren hat durchaus seinen Wert und seine Qualifikation, auch in anderen Systemen gibt es unterschiedliche Leistungsgruppen. Es wäre ein Fehlschluss, zu glauben, dass eine Umstellung all unsere Herausforderungen wegwischen würde.

Das glaubt ja niemand, in einem Interview sagten Sie aber zuletzt sinngemäß, dass Sie als Bildungspolitiker die von Bildungsexperten formulierten Anforderungen an die Schule umsetzen. In Vorarlberg hat eine Gruppe vieler Experten bereits 2015 die Einführung der Gemeinsamen Schule empfohlen. Wann ermöglichen Sie das also?
Polaschek Ich wollte zum Ausdruck bringen, dass ich mir eine bildungspolitische Debatte in Österreich wünsche, die von Experten vorangetrieben wird. In Vorarlberg gibt es eine solche Debatte, ich erinnere mich aber auch an Aussagen, wonach es eigentlich darauf ankommt, welche Lehrerinnen und Lehrer dann tatsächlich in der Schule stehen. In Ihrem Bundesland gibt es immer wieder Vorstöße, der Ball liegt beim Land.

Der Bund sollte laut Land für gesetzliche Anpassungen sorgen, was die leichtere Realisierung von Schulversuchen ermöglicht.
Polaschek Ich sehe den Ball beim Land, für entsprechende Mehrheiten an den Schulen zu sorgen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen wurden schon vor langer Zeit geschaffen – ich als Bildungsminister sehe keinen Grund für eine Änderung.

Die Arbeitsgruppe hat aber 2015 bereits zumindest für das Land Handlungsbedarf erkannt. Kann man das einfach so abtun?
Polaschek Im Gegenteil. Ich respektiere diese Meinung. Die Diskussionen in Vorarlberg sind selbstverständlich zu respektieren. Aber die rechtlichen Rahmenbedingungen sind klar, das Thema liegt nicht in meiner Entscheidungsgewalt.

Martin Polaschek (l.) ist seit seiner Angelobung durch Bundespräsident Alexander Van der Bellen (r.) im Dezember 2021 Bildungsminister. <span class="copyright">APA/Roland Schlager</span>
Martin Polaschek (l.) ist seit seiner Angelobung durch Bundespräsident Alexander Van der Bellen (r.) im Dezember 2021 Bildungsminister. APA/Roland Schlager

Welchen Stellenwert nehmen die kürzlich präsentierten PISA-Ergebnisse bei Ihnen ein, welche konkreten Maßnahmen leiten Sie daraus ab?
Polaschek Diese Ergebnisse sind selbstverständlich sehr ernst zu nehmen. Was ich erfreulich finde: Dass im Vergleich zu anderen Ländern der Rückgang der Kompetenzen deutlich geringer war. Das bedeutet, dass die Maßnahmen, die wir nach der Pandemie gesetzt haben, etwa die Förderstunden, Erfolg gezeigt haben. Wo wir noch mehr tun müssen, ist der Bereich des Lesens, gerade bei Kindern, die aus bildungsfernen Schichten kommen – weil das die Grundlage für das Verständnis des gesamten Unterrichts ist.

Der OECD-Bildungsdirektor hat aus der Studie den Schluss abgeleitet, dass Österreich zu viel Geld für zu schlechte Leistungen ausgibt. Wird bei uns Geld im Bildungssystem versenkt?
Polaschek Unser Sicherheitsnetz hat besser funktioniert als Maßnahmen, die andere Länder getätigt haben. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns darauf ausruhen. Was aber klar ist: Ich erkenne für Österreich einen Trend nach oben, den wir verstärken wollen. Etwa mit unserem wissenschaftlich begleiteten Projekt darüber, was in Schulen besonders gebraucht wird. Das wurde jetzt gerade noch einmal um ein Jahr verlängert, um entsprechend valide Daten zu erlangen.

Die wohl größte Herausforderung der nächsten Jahre ist der Lehrermangel. Gebraucht werden in der jetzigen Situation Quereinsteiger und pensionierte Lehrer und Lehrerinnen. Wie will man da Personal gewinnen, wenn nur Lehrer-Einstiegsgehälter bezahlt werden?
Polaschek Zu den Quereinsteigern möchte ich sagen: Wir haben heuer über 600 Personen als Quereinsteiger für die Schule registrieren dürfen. Und das bei einem strengen Auswahlverfahren. Das muss man einmal festhalten. Der Benefit für diese Personen ist, dass sie eine entsprechend öffentlich-rechtliche Anstellung bekommen, also auch Rechtssicherheit haben. Quereinsteiger bringen auch andere Kompetenzen mit und bereichern den Lehrkörper. Und zum Gehalt der Pensionisten: Da haben wir Herausforderungen im Dienstrecht. Dieses Thema betrifft den gesamten öffentlichen Dienst und ist sehr komplex. Wir befinden uns aber in entsprechenden Gesprächen mit dem Beamtenministerium. Es wäre wünschenswert, hier andere Rahmenbedingungen zu haben.

Wann greifen die bereits gesetzten Maßnahmen? Schon im kommenden Schuljahr?
Polaschek Sie greifen bereits. Es ist uns gelungen, 600 Quereinsteiger neu ins Schulsystem zu holen. Wir werden auf jeden Fall noch zwei bis drei Jahre diesen erhöhten Bedarf haben. Diese Entspannung wird noch nicht eintreten. Trotzdem greifen die schon gesetzten Maßnahmen. Wir haben etwa für die Bundesschulen das Bewerbungsverfahren digitalisiert. Wir wissen in Echtzeit, wie viele Personen sich an welchen Schulen bewerben.

Bis zu seinem Amtsantritt in der Bundesregierung war Polaschek Rektor der Universität Graz. Dort ist er als außerordentlicher Professor bis heute karenziert. <span class="copyright">APA/Eva Manhart</span>
Bis zu seinem Amtsantritt in der Bundesregierung war Polaschek Rektor der Universität Graz. Dort ist er als außerordentlicher Professor bis heute karenziert. APA/Eva Manhart

Der Nachschub an Lehrern und Lehrerinnen sollte natürlich primär von den Hochschulen kommen. Oft korrelieren die dort absolvierten Lehrveranstaltungen nicht mit den Stundenplänen der Schulen, wo die Studenten schon arbeiten. Gibt es da nicht Handlungsbedarf?
Polaschek Ja, wir sind hier in Gesprächen mit den anbietenden Institutionen. Es ist klar: Vonseiten der Universitäten und der Pädagogischen Hochschulen braucht es ein entsprechendes Entgegenkommen. Studierende müssen die Möglichkeit für Praxiseinheiten erhalten. Über eine Reform des Lehramtsstudiums sind wir in sehr intensiven Gesprächen mit dem Koalitionspartner, um bald eine Vorlage in Begutachtung zu schicken.

Genau das war die Kritik von Studierenden in Vorarlberg an PH-Rektor Gernot Brauchle vor einem Jahr. Dass er nämlich überhaupt keine Rücksicht auf die Studierenden und ihre Stunden an Schulen genommen habe. Überhaupt steht der PH-Rektor vonseiten der Lehrervertreter, aber auch Teilen der Kollegenschaft, massiv in der Kritik. Es werden ihm ein rüder Führungsstil und Unfairness bei Postenbesetzungen vorgeworfen. Muss es angesichts solcher Umstände nicht eine Ausschreibung bei der anstehenden Neu-Besetzung des Amtes heuer geben?
Polaschek Wie ich mich das letzte Mal vor einigen Wochen in Vorarlberg befand, waren mir diese Vorwürfe nicht bekannt. Mittlerweile schon. Wir werden diese Vorwürfe natürlich prüfen. Wir werden auch mit Rektor Brauchle das Gespräch führen. Bezüglich dessen, ob ausgeschrieben wird oder nicht, werden wir zeitnah eine Entscheidung treffen. Was ich aber durchaus für sinnvoll halte, ist, dass eine Person, die sich in ihrer Funktion bewährt hat, auch ohne aufwendige Ausschreibung verlängert werden kann, wenn es einen entsprechenden Konsens gibt.

Wie sieht Ihre Zukunft aus? Bleiben Sie nach der Nationalratswahl Minister?
Polaschek Ich mache diesen Job sehr gerne, bin gerne Bildungsminister. Ich würde mich freuen, wenn ich auch in einer neuen Regierung eine Regierungsverantwortung bekleiden darf. Es hängt aber von den Rahmenbedingungen ab. Ich habe ja auch schon sehr klar gesagt: Ich stehe nicht als Minister in einer Regierung mit Herbert Kickl und der FPÖ zur Verfügung. Ob ich als Parteifreier auf der ÖVP-Liste kandidiere und wie ich in einem Wahlkampf eingebunden werde, hängt von Parteichef Karl Nehammer ab – ich bin hier für alle Varianten offen.

Wenn gewünscht, werde er Bundeskanzler Karl Nehammer in einem Nationalratswahlkampf unterstützen, sagt Martin Polaschek.<span class="copyright"> APA/Eva Manhart</span>
Wenn gewünscht, werde er Bundeskanzler Karl Nehammer in einem Nationalratswahlkampf unterstützen, sagt Martin Polaschek. APA/Eva Manhart