„Konventioneller Krieg droht nicht“

Welche Bedrohung geht von Russland aus? Sicherheitsexperte ordnet Warnungen ein.
SCHWARZACH. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine geht bald ins dritte Jahr. Ein Ende, geschweige denn Frieden ist nicht in Sicht. In immer mehr europäischen Ländern gibt es vielmehr Warnungen, dass man von Russland ebenfalls angegriffen werden könnte. In Schweden hat Zivilschutzminister Carl-Oskar Bohlin die Bürger aufgefordert, sich einem solchen Szenario zu stellen. In Deutschland meinte Verteidigungsminister Boris Pistorius unlängst, dass es in „fünf bis acht Jahren“ so weit sein könnte. Sein polnischer Amtskollege Wladyslaw Kosiniak-Kamysz erklärte, dass er mit jedem Szenario rechne und die schlimmsten am ernstesten nehme.
Und in Österreich? Aus der Politik gibt es keine vergleichbaren Aussagen. Vertreter des Bundesheeres meinten bei der Präsentation eines „Risikobildes“ Ende Jänner aber, dass man „kriegsfähig“ werden müsse.

Die VN haben Franz Eder, Sicherheitsexperte und Dekan der Fakultät für Soziale und Politische Wissenschaften an der Uni Innsbruck, um eine Einordnung gebeten: Wie sind all die Warnungen zu sehen? Seine Antwort: „Ich halte nicht viel davon.“
Russland sei dabei, den Krieg mit der Ukraine zwar nicht zu verlieren, aber auch nicht zu gewinnen. Russland habe daher ein Interesse, dass die westliche Unterstützung für die Ukraine abnimmt. Dazu versuche es, europäischen Regierungen und Bevölkerungen zu vermitteln, dass es zu einer Eskalation kommen könnte, sieht Eder ziemlich unverhohlene Einschüchterungsversuche: „Das ist jedoch vollkommen unglaubwürdig. Russland hat nicht die Kapazitäten. Der Krieg mit der Ukraine kostet es unglaubliches Potenzial. Außerdem hat die NATO längst reagiert und ihre Bereitschaft zur Verteidigung deutlich gemacht. Westliche Militärtechnologien sind russischen weit überlegen. In der Ukraine sehen wir das jetzt. Dort gelingt es westlichen Schützenpanzern, russische Kampfpanzer auszuschalten. Das hat man bisher kaum für möglich gehalten.“

Auf der anderen Seite gebe es europäische Staaten, die zunehmend müde seien, die Ukraine zu unterstützen: „Warnungen, dass es Krieg mit Russland geben könnte, sehe ich auch vor diesem Hintergrund.“ Sie sollen offenbar die Bereitschaft aufrechterhalten, der Ukraine beizustehen.
Österreich selbst sei „nicht durch konventionelle Kriege bedroht, sondern eher von Folgen ebensolcher Kriege“, meint Eder: „Also etwa Migration oder Lieferkettenunterbrechungen wie derzeit im Roten Meer. Eine zunehmende Herausforderung wird auch die globale Klimakrise mit allem, was damit einhergeht. Oder Cyberattacken. Dem muss man in jedem Fall gerecht werden.“

Insel der Seligen ist die Alpenrepublik nach Ansicht des Experten keine. Er verweist auf Artikel 42, Absatz 7 des EU-Vertrags, der zu Solidarität mit allen übrigen Mitgliedsländern verpflichtet. Auch „Sky Shield“, ein länderübergreifendes Raketenabwehrsystem, sei ein Beispiel europäischer Solidarität, das Sinn mache.
Noch einmal auf Sorgen, etwa in Schweden, aber auch Finnland angesprochen, zeigt Eder Verständnis: „Russland stellt für sie eine ernstere Bedrohung dar. Wobei auch hier gilt, dass mit keinem Angriff zu rechnen ist, solange sich Russland im Krieg in der Ukraine befindet. Und selbst danach wird sich das aus meiner Sicht nicht so schnell ändern: Russland ist weit entfernt von den Offensivkräften, die dafür notwendig wären.“