Richtig oder falsch?

Politik / 13.02.2024 • 15:05 Uhr
Richtig oder falsch?

Dass die Wirklichkeit weit komplexer ist, als sie uns Politiker oder Aktivisten gerne darstellen, zeigen viele aktuell heiß diskutierte Themen. So ringt Europa derzeit um ein Lieferkettengesetz, das dazu dienen soll, Kinderarbeit und Umweltzerstörung in der Dritten Welt zu verhindern.

Firmen müssen künftig darauf achten, dass ihre Zulieferer sich an jene Standards halten, die es der internationalen Staatengemeinschaft nicht gelungen ist durchzusetzen. Das Grundanliegen ist völlig berechtigt, aber angesichts der Tatsache, dass das nur für die europäischen Unternehmen gelten soll, nicht unproblematisch. China, Russland und Indien scheren sich keinen Deut um dieses Thema und denken auch nicht im Traum daran, ihren Unternehmen derartige Belastungen aufzuerlegen. Das wiederum verbessert unsere Position am Weltmarkt nicht wirklich. Sehr viel Sinn würde es deshalb wohl machen, auf die Bedenken der betroffenen Unternehmen einzugehen. Denn vieles, was auf der Seite der Befürworter vorgebracht wird, hält bei näherer Betrachtung der Wirklichkeit nicht stand. Ein beträchtlicher Teil der für Mobiltelefone und Elektroautos verwendeten Mineralien bzw. seltenen Erden stammen aus Regionen, wo Kinderarbeit, Ausbeutung und gnadenlose Umweltzerstörung die traurige Realität darstellen. Wer es also wirklich ernst meint, dürfte schon heute diese Produkte nicht kaufen, weil Blut daran klebt. Was also falsch oder richtig ist, hängt von der Seite des Betrachters ab. Das zeigt sich auch beim Thema Atomstrom.

An der Wirklichkeit scheitert so mancher Moralapostel.“

Wir wissen: Atomkraft ist schlecht, erneuerbare Energien sind die Zukunft. Mit dem katastrophalen Unglück von Fukushima schien sich die klare Ablehnung der Atomkraft in den meisten Ländern der Welt durchzusetzen. Dann aber rückte die Klimakrise in das öffentliche Bewusstsein und damit auch die dringende Forderung nach einer drastischen Reduzierung der CO2-Emissionen. Einer der Vordenker der Grünbewegung, der Mediziner und Bio-Chemiker James Lovelock, beschrieb schon 2011 – also ganz kurz nach Fukushima – das Dilemma in einem NZZ-Beitrag folgendermaßen: „Wir können langsam und träge sterben, indem wir fossile Energieträger verbrennen oder mutig sein und die Kernenergie nutzen.“ Wenn also die CO2-Vermeidung das Maß aller Dinge ist, um das Klima zu retten, dann wäre es fatal, auf die Kernkraft zu verzichten, so wie es Deutschland entschieden hat. Hat also letztlich die Atomlobby recht? Wohl eher nicht, aber eine wirkungsvolle Klimapolitik wird – weltweit gesehen – ohne Kernenergie auch nicht umsetzbar sein.

Rainer Keckeis ist ehemaliger AK-Direktor Vorarlberg und früherer Feldkircher VP-Stadtrat.