Warum Österreich immer noch keine neue Sicherheitsstrategie hat

Bereits Ende 2023 hätte die Bundesregierung dem Parlament den Entwurf für eine neue Sicherheitsstrategie vorlegen wollen. Doch an einem Punkt hakt es noch.
Wien, Hohenems Ein Blick in die aktuell gültige Sicherheitsstrategie Österreichs. Die Republik setzt sich darin unter anderem das Ziel, mit dem „strategischen Partner“ Russland „zielgerichtet“ zu kooperieren. Dies ist ein Punkt, den wohl spätestens seit den flächendeckenden Angriffen des Regimes von Wladimir Putin auf die Ukraine im Februar 2022 kein Regierungsmitglied mehr unterstützen würde. Doch in der Sicherheitsstrategie von 2013 steht er eben noch. Weil das Dokument bis heute nicht aktualisiert wurde.
„Bis Ende 2023“
Das verwundert vor allem deshalb, weil diesbezügliche politische Forderungen schon seit zumindest zwei Jahren geäußert werden – zuerst etwa durch die Neos, später auch explizit durch den Rechnungshof. Doch die Bundesregierung beschloss erst im April 2023, die Sicherheitsstrategie überarbeiten und weiterentwickeln zu wollen: „Zahlreiche weitreichende Entwicklungen und insbesondere der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine haben die nationale, europäische und internationale Sicherheitsarchitektur sowie die geopolitischen Verhältnisse tiefgreifend verändert“, heißt es im damaligen Beschluss. Und weiter: Das Ergebnis solle dem Parlament spätestens bis Ende 2023 vorgelegt werden.
Die Bundesregierung hat dem Parlament bis heute keinen Entwurf für eine neue Sicherheitsstrategie vorgelegt.

Laut VN-Informationen liegt das daran, dass sich die Regierungsparteien noch auf keinen Text des Kapitels über Energiesicherheit und Klimaschutz einigen konnten – bzw. auf daraus resultierende Maßnahmen. Zwar sandte das inhaltlich dafür zuständige Klimaschutzministerium bereits vor dem Jahreswechsel – wie die anderen mitwirkenden Ressorts – einen Textentwurf an das Bundeskanzleramt; noch gibt es aber keinen Konsens darüber.
Aus dem Haus von Ministerin Leonore Gewessler heißt es zu den Vorarlberger Nachrichten, dass man zuversichtlich sei, sich in den nächsten Wochen zu einigen – und damit dann auch das gesamte Paket an den Nationalrat zu schicken. Thema des strittigen Kapitels ist unter anderem die Abhängigkeit Österreichs von russischem Erdgas. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagt zu den VN, dass der noch fehlende Beschluss aktuell keine direkten Auswirkungen auf Österreichs Sicherheitsarchitektur hätte.

Inhaltlich beteiligt an der neuen Sicherheitsstrategie sind aber nicht nur die Ministerien, die schlussendlich die einzelnen Themengebiete ausformulieren, sondern auch zehn Expertinnen und Experten, die von den fünf Parlamentsparteien nominiert wurden. Unter ihnen: die Hohenemserin Stephanie Fenkart, Direktorin des Internationalen Instituts für den Frieden in Wien. Im Gespräch mit den VN berichtet sie von konstruktiven Gesprächen: „Wir haben uns einmal im Monat getroffen und dabei die Themen diskutiert. Die endgültigen Texte der Ministerien haben wir aber nicht bekommen, was es natürlich schwierig gemacht hat.“
„Es hängt immer davon ab, wie ambitioniert man wirklich ist. Man hätte sich zum Beispiel schon überlegen müssen, was unsere Rolle als neutraler Staat sein kann und wo wir uns wie eingebettet fühlen. Aber wir sehen schon jetzt, dass die Implementierung zuerst sicher das Wichtigste ist.“
Stephanie Fenkart, Internationales Institut für den Frieden (Direktorin)
Auf inhaltlicher Ebene könne man sich aber zum Beispiel nicht erwarten, dass die Republik ihre Rolle in der Welt neu definiert, sagt Fenkart: „Es geht eher um eine Aufstellung der Herausforderungen, um Handlungsfelder, in denen Österreich, eingebettet in die Gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik der EU, aktiv sein kann und auch um die umfassende Landesverteidigung.“ Sie bezeichnet das Dokument also als „wunderbare Wunschliste“, deren Wirksamkeit von den Regierungen abhänge.

Davon hänge aber auch ab, wie glaubwürdig Österreich – als neutraler Staat – in Zukunft auf internationaler Ebene sein kann: „Wir sprechen immer über Wien als Verhandlungsort, aber dazu nimmt jeder immer nur das Beispiel Kreisky in den Mund. In den vergangenen drei Jahrzehnten hätten wir uns schon etwas anderes überlegen können“, sagt Fenkart.
In Österreich würden außenpolitische Haltungen außerdem immer noch viel zu sehr von innenpolitischen Überlegungen gelenkt: „Das Veto zum Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien ist ein sensationelles Beispiel dafür, wie wir über Sachen reden, schlussendlich aber nicht umsetzen – da gewinnen immer die innenpolitischen Interessen“, sagt Fenkart. Und: „Wenn Bundeskanzler Nehammer zum Beispiel nach dem Angriff auf die Ukraine nach Russland fährt und Wladimir Putin dadurch Legitimität verschafft, hat man sich wohl viel zu wenig mit den Konsequenzen auseinandergesetzt.“
Und ob da eine neue Sicherheitsstrategie wirklich weiterhilft, bleibt abzuwarten. Denn: „Egal, ob bei Wasserlieferungen, Friedensmissionen oder der Klimawandelbekämpfung – Österreich könnte viel mehr machen, wenn wir schon militärisch dazu nicht in der Lage sind.“