Michael Köhlmeier rechnet wegen der Leitkultur mit der ÖVP ab: “Ich verachte diese Leute”

Der Schriftsteller aus Hohenems ist über die – von der Volkspartei angestoßene – Diskussion zur Identität Österreichs entsetzt.
Hohenems, Wien „Verrate uns: Was ist für dich typisch österreichisch?“ Diese Frage stellt die Volkspartei aktuell den Österreicherinnen und Österreichern. Und liefert die Antworten passenderweise gleich mit. In ihrer aktuellen Kampagne bildet die Kanzlerpartei eine Musikkapelle in Tracht ab, auf einem anderen Sujet stellen Männer einen Maibaum auf. Natürlich ebenfalls in Tracht. Gleichzeitig hielt Integrationsministerin Susanne Raab diese Woche im Bundeskanzleramt eine Expertenrunde zur österreichischen Identität ab. Diese sei schließlich mehr als nur die Gesetze des Landes.
Das Ziel Raabs: eine Leitkultur für das Land zu entwickeln. Einen „klaren Grundkonsens im Zusammenleben“ – etwa was Geschlechtergerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit betrifft. Laut der Kampagne der Partei ist hingegen „Tradition statt Multikulti“ das Ziel. Und: „Wer unsere Art zu leben ablehnt, muss gehen.“
„’Leitkultur’ ist ein dummer Begriff“
Bei Michael Köhlmeier schrillen angesichts solcher Aussagen die Alarmglocken. „Das ist ein Witz. Traditionen muss man hochhalten, aber mir kann doch egal sein, wenn Sie die Blasmusik nicht mögen“, sagt der Hohenemser im Gespräch mit den Vorarlberger Nachrichten: „‚Leitkultur‘ ist ein dummer Begriff. Kein Mensch will in seiner kulturellen Vorstellung geleitet werden.“ Der Schriftsteller und Russ-Preis-Träger gilt als eine der honorigsten Persönlichkeiten des Landes und ist nie um klare Aussagen verlegen. Nun ist der 74-Jährige über die ÖVP schockiert.

„Diejenigen, die am lautesten nach der Moral schreien, sind die, die sie am heftigsten brechen. Das ist ein Leitgedanke in meinem Leben. Oder eher ein Leidgedanke“, sagt Köhlmeier: „Wenn laut der ÖVP in unserem christlichen Abendland die Zehn Gebote gelten und gehen muss, wer Gesetze nicht achtet, dann müsste ein Großteil der Führungsriege der ÖVP gehen.“ Und er ergänzt: „Ich bin das wirklich leid.”
Köhlmeier sagt, dass er für das Land froh wäre, wenn es eine anständige, saubere, konservative Partei in Österreich gäbe. Die Volkspartei ist das laut ihm aber jedenfalls nicht: „Das ist für mich eine durch und durch korrumpierte Partei. Sie sollte sich auflösen und sich neu gründen, anstatt uns mit dem Zeigefinger zu belehren. Das ist der Gipfel.“
Bestehende Gesetze würden ausreichen
Der Autor ortet in der Kampagne und von der ÖVP ausgelösten öffentlichen Diskussion ein Ablenkungsmanöver: „Natürlich höre ich auch zum Beispiel von den Messerstechereien in Wien. Oder natürlich dürfen Männer ihre Frauen nicht einsperren.“ Um dem Einhalt zu gebieten, brauche es aber keine Leitkultur: „Die ÖVP tut so, als wäre unser Rechtsstaat zu schwach und als könne man mit unseren Gesetzen dagegen nicht vorgehen. Aber soll ich zu einem Menschen, der jemanden umgebracht hat, wirklich hingehen und sagen: ‚Du hast unsere Leitkultur verletzt‘?“

Vor allem fragt sich Köhlmeier, was diese Leitkultur überhaupt sein soll: „Wenn ich das genau nehme, brauche ich auch jemanden, der leitet. Um die Demokratie zu respektieren, ist das aber unnötig. Dafür gibt es die Gesetze, die leiten.“ Schließlich sei Österreich von Grund auf eine demokratische Republik: „Und an der haben wir sehr lange sehr intensiv gearbeitet.“ Letztlich spiele die ÖVP in der Kampagne nur mit den Ressentiments der Bevölkerung, um der FPÖ nachzueifern: „Ich verachte diese Leute zutiefst. Weil sie genau wissen, was sie tun. Und weil sie uns weismachen wollen, dass sie etwas Gutes für uns tun“, sagt Köhlmeier.
Und was ist jetzt typisch vorarlbergerisch, Herr Köhlmeier? „Für mich ist das der Dialekt, der mir in der Ferne eine gewisse Vertrautheit, eine gewisse Wärme gibt. Das sind die Berge und die Gerüche unserer Landschaften.“
„Aber wenn meine Nachbarin andere kulturellen Vorstellungen hat, lebe ich trotzdem sehr gerne neben ihr. Und würde nicht auf die Idee kommen, sie müsse gehen.“
![ABD0085_20240328 – WIEN –
STERREICH: ++ HANDOUT ++ Integrationsministerin Susanne Raab (
VP) (r.) am Donnerstag, 28. Mrz 2024, anlsslich einer Expertenrunde mit dem Thema “
sterreichische Identitt und Leitkultur: Werte des Zusammenlebens” in Wien. – FOTO: APA/BUNDESKANZLERAMT/CHRISTOPHER DUNKER – ++ WIR WEISEN AUSDRCKLICH DARAUF HIN, DASS EINE VERWENDUNG DES BILDES AUS MEDIEN- UND/ODER URHEBERRECHTLICHEN GRNDEN AUSSCHLIESSLICH […]](/2024/03/ABD0085-20240328-1-scaled.jpg)