Michael Prock

Kommentar

Michael Prock

Schwarz-Weiße Gefahr in Wahlkampfzeiten

Politik / 08.05.2024 • 17:24 Uhr

Es ist Wahlkampf! Der Wettstreit der besten Ideen, des politischen Angebots, der inhaltlichen Diskussion. Oder doch eher die Zeit der großen Gereiztheit, die Zeit der Zuspitzung, die Zeit der gegenseitigen Verächtlichmachung? Wir sind im Wahlkampf gelandet. Und wir merken: Argumente haben vielerorts keinen Platz in politischen Diskussionen. Mit möglichen verheerenden Folgen.

Verfolgen Sie Diskussionen über den Gaza-Krieg? Erlebt, dass jemand sagt: Wahnsinn, die Terrororganisation Hamas hat einen brutalen Anschlag verübt. Und im gleichen Atemzug benennt, dass die Reaktion der israelischen Armee vielleicht übertrieben ist? Reaktion, je nach Seite: Antisemit! Imperialist!

Haben Sie einmal versucht, zu betonen, dass der Einmarsch Russlands in die Ukraine ein Verbrechen ist, das in jüngerer Geschichte seinesgleichen sucht? Und gleichzeitig ihre Abscheu gegenüber Krieg und den Wunsch nach Frieden zum Ausdruck gebracht, deshalb Waffenlieferungen kritisch gesehen? Mögliche Reaktion: Putinversteher! Kriegstreiber!

Ist Corona eine gefährliche Krankheit, die für eine Pandemie gesorgt hat? Eine Pandemie, in der uns eine Impfung vor Schlimmeren bewahrt hat? Zugleich waren die Lockdowns vielleicht doch übertrieben? Zu viel Bevormundung in einer schwierigen Zeit? Reaktion könnte sein: Wissenschaftsleugner! Corona-Diktatur!

Oder die Klimadiskussion? Argumentieren Sie, dass die Klimakrise uns zwingt, das Leben umzustellen? Unseren Planeten für immer verändert? Gleichzeitig wehren Sie sich gegen Verbote? Halten nichts von Klebeaktionen? Reaktionen: Klimaleugner! Klimareligion!

Schwarz-Weiß-Denken dominiert längst die politische Diskussion, für Schattierungen ist in Wahlkampfzeiten kein Platz mehr. Nützt die EU uns allen, sollte sich aber in diesem oder jenem Bereich verändern? Darüber könnte die Politik diskutieren. Die FPÖ lässt auf ihren Wahlplakaten für diese Schattierungen erst gar keinen Platz. Sie kritisiert den „EU-Wahnsinn“, zeigt den ukrainischen Präsidenten und die EU-Kommissionschefin, die sich vermeintlich küssen – umringt von Kampfbegriffen. Die EU wird als Kriegstreiber dargestellt. Ihr Ziel hat die Partei erreicht: Aufmerksamkeit, auch in diesem Kommentar. Die Nebenwirkung: Der politische Diskurs wird völlig zerstört. Kann so über die EU diskutiert werden? Wohl kaum.

Eine weitere politische Lektion, die gegen jegliche Diskussionskultur spricht: Wird eine Partei kritisiert, dann Gegenattacke. „Aber die anderen“ ist eines der wenigen Argumente, die im Wahlkampf ausgetauscht werden. Oder man diffamiert den Überbringer der Kritik. Wenn seriöse Journalistenkollegen eine Geschichte umfassend recherchieren, wird die Geschichte infrage gestellt. Wie derzeit die Recherche im “Standard” über die grüne Spitzenkandidatin Lena Schilling. Statt auf den Inhalt einzugehen, wird die eigene grüne Partei mit „einer für alle, alle für Lena“ eingeschworen. Jetzt erst recht! Das kennen wir aus vielen Wahlkämpfen.

In Feldkirch bezeichnet der Bürgermeister Berichterstattung über die Stadt als ‘Fake News’. Zuvor war eine Geschichte über einen Immobiliendeal seines Nachfolgers erschienen. Fakten werden zu Meinungen degradiert. Wie soll man sich da noch mit Inhalten auseinandersetzen?

Wir befinden uns in Zeiten großer Aufgeregtheit. Jetzt beginnen zwölf Monate Wahlkampf. EU-Wahl, Nationalratswahl, Landtagswahl, Gemeindewahl. Eine Zeit, in der wir uns fragen sollten, was geschieht, wenn die öffentliche Diskussionskultur weiter in diese Richtung driftet. Wer übernimmt die gesellschaftlich so wichtige Aufgabe der Politik, wenn sich das Publikum angewidert abwendet? Wenn Wählerinnen und Wähler auf ihr Wahlrecht verzichten? Wenn allen egal ist, wer am Ende im Parlament sitzt?

Gar nicht auszudenken.