“Sind Sie überzeugt, dass Ministerin Gewessler Amtsmissbrauch begangen hat, Frau Raab?”

Ministerin Raab im VN-Interview über Koalitionskrise, Abtreibungen, Pensionssplitting und die Caritas Nachbarschaftshilfe.
Interview: Michael Prock & Birgit Entner-Gerhold
Bregenz Der Vorstoß von Sozial- und Gesundheitsminister Johannes Rauch in den VN brachte kürzlich wieder Bewegung in die Diskussion. Sollen Schwangerschaftsabbrüche aus dem Strafgesetz gestrichen werden? Sollen sie kostenlos sein? Und in allen Krankenhäusern möglich? Frauenministerin Susanne Raab sieht beim Strafrecht keinen Änderungsbedarf. Ansonsten äußert sie sich nicht zum Thema – anders beim Pensionssplitting. Da nimmt sie den grünen Regierungspartner in die Pflicht.
Wie haben Sie die letzten Tage in der Regierung erlebt?
Raab Es waren schwierige Tage, die vom Vertrauensbruch von Ministerin Gewessler, einem Rechtsbruch, einem Widerspruch zum Verfassungsrecht und zur gelebten Praxis geprägt waren. Wir setzen die Zusammenarbeit aber im Sinne der Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern bis zum Wahltermin fort, und für diese Entscheidung bin ich dem Bundeskanzler dankbar.
Sind Sie davon überzeugt, dass Leonore Gewessler Amtsmissbrauch begangen hat?
Raab Das werden Gerichte klären. Ich kann nur sagen: Wir als Ministerinnen und Minister haben laufend ähnliche Situationen im Rat, bei denen man sich natürlich immer innerhalb der betroffenen Ministerien abgestimmt hat.
Ist die Anzeige angemessen? Da geht es auch um eine Haftstrafe.
Raab Angemessen ist das, was im Gesetz abgebildet ist und dementsprechend ist es wichtig, dass jetzt die Gerichte und Instanzen das rechtliche Fehlverhalten klären und darüber entscheiden.

Sozial- und Gesundheitsminister Johannes Rauch sagt, dass Schwangerschaftsabbrüche im Rahmen der Fristenlösung nichts im Strafrecht verloren haben. Wie sehen Sie das?
Raab Ich sehe es als unsere Aufgabe, dass wir Einrichtungen fördern, die Frauen in dieser schwierigen Situation begleiten und unabhängig beraten. Deshalb finanzieren wir ja Unterstützungsangebote für Frauen in dieser Lage. Es ist wichtig, dass wir auch sagen, dass es etwas Schönes ist, ein Kind zu bekommen.
Der Schwangerschaftsabbruch ist zwar straffrei gestellt aber laut Strafrecht dennoch illegal: Unterstützen Sie diese Symbolik?
Raab Wir haben eine geltende Regelung in Österreich. Und eine Änderung dieser Regelung ist nicht angedacht.
Rauch fordert Schwangerschaftsabbrüche flächendeckend in den Krankenhäusern anzubieten. Unterstützen Sie das?
Raab Das liegt im Kompetenzbereich der Bundesländer und des Gesundheitsressorts.
Als Frauenministerin haben Sie sicher eine Meinung dazu?
Raab Es gibt unterschiedliche Kompetenzbereiche. Darum ist es richtig, dass das in den Bundesländern entschieden wird.
Soll die Krankenkasse die Kosten für Schwangerschaftsabbrüche übernehmen?
Raab Ich sehe mich dafür verantwortlich, dass Frauen in dieser Situation bestmöglich unterstützt werden. Deshalb haben wir in jedem Bezirk Österreichs eine Frauen- und Mädchenberatungsstelle geschaffen. Darüber gebe ich gerne Auskunft.
Ein krasses Beispiel: Eine Frau wird nach einer Vergewaltigung schwanger und ihr fehlen die 500 bis 800 Euro für einen Abbruch. Sie will das Kind aber nicht. Muss sie einfach damit leben? Eine Frage an Sie als Frauenministerin.
Raab Wir haben eine bestehende Gesetzeslage und die Bundesländer haben im Rahmen ihres Kompetenzbereiches Möglichkeiten geschaffen.

Zu einem anderen Thema. Sie fordern schon lange ein automatisches Pensionssplitting. Wird es sich vor der Wahl noch ausgehen?
Raab Ich kämpfe mittlerweile mit dem dritten Sozialminister der Grünen um das automatische Pensionssplitting, das wir auch im Koalitionsabkommen verankert haben. Man hat mir bis jetzt noch nicht erklären können, warum es schlecht sein soll. Für Frauen im Alter ist es ganz zentral, Pensionszeiten zu haben. Ich bin enttäuscht von den Grünen, dass es hier keine Bewegung gibt.
Die Grünen sagen, das Pensionssplitting wäre nur ein Mosaikstein. Es bräuchte mehr.
Raab Ja, man kann immer sagen, es braucht mehr. Aber das heißt nicht, dass das Pensionssplitting schlecht ist. Ich verstehe die Argumentation generell nicht. Es ist doch fair, dass derjenige, der mehr verdient, demjenigen, der weniger verdient, weil er mehr bei den Kindern ist, Pensionszeiten überträgt.
Kritiker argumentieren, dass mit dem Pensionssplitting der Anreiz sinkt, arbeiten zu gehen.
Raab Ich bin davon überzeugt, dass der Staat nicht vorgeben sollte, wie Menschen ihr Leben leben. Ob es gut oder richtig ist, dass man das Kind mit einem Jahr in die Kinderbetreuung gibt, oder ob es gut oder richtig ist, dass man das Kind länger zu Hause hat, ist die freie Entscheidung der Familien. Ich bin nach zwei Monaten wieder arbeiten gegangen. Mein Kind ist mit einem Jahr in die Kinderbetreuung. Das haben wir für unsere Familie so entschieden. Aber das heißt nicht, dass jeder so leben soll. Es ist unsere Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen und Frauen abzusichern.
Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass das Pensionssplitting noch in dieser Legislaturperiode kommt?
Raab Manchmal passieren noch Wunder. Aber in einer Koalition braucht es halt auch immer zwei. Zuständig für das Gesetz ist eben der nunmehr dritte grüne Sozialminister.

Für welches Herzensprojekt bräuchten Sie die Grünen denn noch?
Raab Ich bin in Vorarlberg, weil ich symbolisch gesprochen Geld für mein Herzensprojekt mitbringen durfte, nämlich für den Ausbau der Kinderbetreuung. Die Bundesregierung stellt 4,5 Milliarden Euro bis 2030 zur Verfügung. In Vorarlberg können die Gemeinden mit ihrem Anteil die Pädagoginnen besser bezahlen, zusätzliches Assistenzpersonal einstellen und längere Öffnungszeiten anbieten. Wir sind direkt auch in die Finanzierung des Personals eingestiegen.
Wir haben gerade berichtet, dass in den kommenden Jahren 600 Pädagoginnen und Pädagogen fehlen. Da wird Geld allein nicht helfen. Was kann man tun?
Raab Ein wesentlicher Punkt ist, dass die Mehrheit derjenigen, die die Ausbildung absolvieren, nicht in dem Beruf arbeiten. Weil oft die Rahmenbedingungen ausbaufähig sind. Daher geht es um kleinere Gruppengrößen, einen besseren Fachkraft-Kind-Schlüssel und weniger administrative Tätigkeiten, die von den Pädagoginnen gemacht werden müssen.

Sie wollen Sie Asylwerber zur Arbeit verpflichten. In Vorarlberg würden gerne jetzt schon mehr arbeiten, es fehlen aber die Jobs. Gibt es für den Plan ausreichend Arbeit?
Raab Wenn Asylwerber in einem Quartier sind und auf ihren Bescheid warten, ist es sinnvoll, dass sie sich betätigen und der Gesellschaft etwas zurückgeben. Je nach Bundesland gibt es da unterschiedliche Möglichkeiten: Parkbewirtschaftung, Unterstützung in sozialen Einrichtungen, Reinigungstätigkeiten, Kochassistenz im Grundversorgungsquartier, etc. Dafür gibt es zusätzlich zum Taschengeld einen Anerkennungsbeitrag.
In Vorarlberg werden vier Euro pro Stunde bezahlt. Sie schlagen 1,50 Euro vor. Ist das nicht ein wenig knausrig?
Raab Nein. Es geht um einen Anerkennungsbeitrag und nicht um eine Erwerbstätigkeit. Es ist eine gemeinnützige Tätigkeit. Viele Menschen in Österreich engagieren sich ehrenamtlich für die Gemeinschaft und bekommen dafür gar nichts. Asylwerber bekommen Unterkunft und Verpflegung. Da ist es das Mindeste, dass man etwas zurückgibt.
In Vorarlberg fehlen aber die Möglichkeiten, mitzuhelfen.
Raab Das ist in anderen Bundesländern anders.
Wenn ein Asylwerber keine Stelle findet, wird ihm das Taschengeld gekürzt?
Raab Natürlich nicht.
Ist die Rückkehr zur Caritas-Nachbarschaftshilfe ein Thema? Dann könnten sie auch wieder in privaten Haushalten mithelfen, jüngst hat das Landeshauptmann Markus Wallner auch wieder gefordert.
Raab Ich denke, ob Nachbarschaftshilfe, ob gemeinnützige Tätigkeit, auch mehr Ehrenamt, also alles wo ein gewisser Wille gezeigt wird, für die Gemeinschaft etwas zu tun, ist vernünftig. Gerade in der Zeit, in der man staatliche Unterstützung bekommt.
Das wäre dann die Hilfe auch für Private.
Raab Da gibt es ja auch einige Projekte, die das tun und unterstützt werden. Wie gesagt, ich halte es immer für richtig, wenn Asylwerber der Gemeinschaft, den Nachbarn, egal ob privaten oder dem Staat, etwas zurückgeben.
Würden Sie in einer kommenden Regierung wieder als Ministerin zur Verfügung stehen?
Raab Ich mache meine Tätigkeit als Ministerin sehr gerne und schließe nichts aus.
Kandidieren Sie?
Raab Die Bundesliste wird gerade erstellt.