Michael Prock

Kommentar

Michael Prock

Taktisches Foul

Politik / 19.06.2024 • 17:13 Uhr

Was war das für eine Szene. Die grüne Ministerin Leonore Gewessler setzte am Sonntag zur Renaturierungsblutgrätsche an. Noch bevor sie am Boden der Abstimmungstatsachen angelangt war, wanderte die Hand der halben ÖVP-Mannschaft bereits Richtung der berühmten Karte in der Gesäßtasche. Am Montag folgte Gewesslers Tackling. Nach längerem Videobeweis verzichtete die ÖVP auf die Rote Karte, es blieb bei einer emotionalen Verwarnung samt Amtsmissbrauchsfoul – das Spiel kann bis zum 29. September weitergehen. Zeit, sich die mögliche Taktik hinter der Aktion anzusehen; und warum sich die Bundesregierung vielleicht eine Scheibe Vorarlberg abschneiden könnte.

Taktik Variante 1: Die Grätsche ist ideologisch (im positiven Sinn) bedingt. Leonore Gewessler ist tatsächlich eine Ministerin, der die Sache wichtiger ist als die Befindlichkeiten von Interessensgruppen mit starker Stimme beim Koalitionspartner. Sie stellt den Naturschutz über die Koalitionsdisziplin – und damit auch über die Regierungsstabilität. Sie riskiert, dass die Regierung zerbricht, um in Brüssel ein weiteres Naturschutzpaket durchzubringen. Ihr sind die Bedenken aus den Bundesländern und aus der Bauernschaft nicht so wichtig wie der Natur- und Umweltschutz und in weiterer Folge auch der Klimaschutz.

Taktik Variante 2: ein taktisches Foul als Signal nach innen. Die Bruchlinien innerhalb der Partei drohen seit Lena Schilling aufzubrechen. Die Klubführung drückte die Kandidatin durch – entgegen dem Willen anderer. Im Wahlkampf folgte die Quittung. Gewesslers Aktion könnte die Brücken zwischen den Lagern wieder festigen. Sie schafft es, was Lena Schilling verwehrt blieb: Die Grünen stehen wieder für uneingeschränkten Naturschutz und Klimaschutz, auch wenn man damit den Koalitionspartner ärgert und vielleicht sogar ein Gesetz bricht. Und die Basis versammelt sich wieder hinter ihrer Führung.

Taktik Variante 3: ein abgesprochenes Foul mit Vorteilen für beide Seiten. Die Grünen zeigen, dass ihnen das Klima wichtig ist – die ÖVP zeigt, dass ihr die Sorgen der Landwirte ein Anliegen sind. Beide können vor der Wahl ihr Profil schärfen. Die ÖVP grenzt sich nach links ab, die Grünen nach rechts. Beide profitieren aus ihrer Sicht vom Koalitionskrach. Was bleibt, ist der Kollateralschaden.

Ob taktisches Foul, abgesprochenes Foul oder ideologische Grätsche: Foul bleibt Foul. Von außen betrachtet bleibt das Bild einer streitenden Regierung hängen, die das Land fast ins Chaos stürzte. Vielleicht sollten Nehammer und Kogler in so einer Situation einen Blick über den Arlberg werfen?

Auch in Vorarlberg schwanken ÖVP und Grüne zwischen Teamgeist und Kontrahentenstatus. Manchmal agieren sie miteinander, manchmal stehen sie sich gegenüber. Am Ende bleiben die Blutgrätschen jedoch aus. Als die ÖVP mit dem Vorarlberg Kodex vorpreschte, blieb außer leisem Widerspruch vor allem grünes Zähneknirschen. Auch als die Mindestsicherung gekürzt wurde, gingen die Grünen schließlich mit. Als während der Wirtschaftsbundsache Wallners Handy in einer Abteilung von Daniel Zadra aufschlug und er öffentlichkeitswirksam mitteilte, das Handy zu behalten, rumorte es kräftig in der ÖVP. Niemand trat im Nehammer-Stil vor die Presse und ließ den Emotionen freien Lauf. Manchmal fliegen im Landtag die Fetzen, hinter den Kulissen kämpfen die Parteien regelmäßig mit harten Bandagen. Aber am Ende regiert der Kompromiss. Die Sachlichkeit. Der Gedanke an das große Ganze.

Politik darf kein unterhaltsames Fußballspiel werden. Kompromisse und Zusammenarbeit mögen langweiliger sein. Vielleicht ist diese Langeweile in der Politik aber gar nicht so schlecht.