Michael Prock

Kommentar

Michael Prock

Kommentar zur Teilzeitdiskussion: Wunderwuzzis gesucht

Politik / 22.07.2025 • 16:14 Uhr

Ganze Männer machen halbe-halbe! So hallte es Ende der 1990er-Jahre durch die Haushalte, als die damalige Frauenministerin Helga Konrad für eine ausgewogene Verteilung der Aufgaben in der Familie warb. Auch Frauen sollen arbeiten gehen, auch Männer sollen zu Hause bleiben. Dürfen oder müssen … je nach Standpunkt. Seit Jahren steigt die Frauenerwerbsquote samt Teilzeitquote. Die Kampagne hat gewirkt, könnte sich die Politik freuen. Sie freut sich aber nicht. Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer vermisst bei Personen, die ohne ersichtlichen Grund mit weniger Arbeit das Auskommen finden, gar die Solidarität in der Gesellschaft. Steht die Arbeit über allem anderen?

Teilzeit kennt viele Gründe. Und jede Begründung ist berechtigt. Natürlich allen voran die Kinderbetreuung. Speziell in Vorarlberg sind es Frauen, die sich entscheiden, sich stärker dem Kind zu widmen, dem Mann wird die Rolle des Ernährers zugewiesen. Mangelnde Kinderbetreuung als Grund? Ein Blick nach Wien lässt diese Vermutung zumindest relativieren. Wiens Betreuungssystem ist bekanntlich sehr gut ausgebaut, dennoch sind weiterhin 43 Prozent der Frauen in Wien in Teilzeit. Also eher eine persönliche Entscheidung?

Zumindest ein Wohlstandsphänomen. Wer es sich leisten kann, wird sich eher in Teilzeit begeben. Auch, weil sich gerade jüngere Menschen sowieso nichts mehr leisten können. Warum sollen sie nicht auf 80 Prozent runterschrauben, wenn sie sich auch mit 110 Prozent kein Eigentum mehr leisten können? Grundstücke, Häuser und Wohnungen sind ohne großzügige Unterstützung aus dem Elternhaus für Normalsterbliche nicht leistbar. Trotzdem aus Solidarität 40 und mehr Stunden arbeiten? In einem Job, der vielleicht gar nicht so spannend ist?

Sollte der Job spannend, aber fordernd sein, wirbt die Politik für ein weiteres Modell: Altersteilzeit. 53 Prozent aller arbeitenden Menschen im Alter über 60 arbeiten in Teilzeit. Das ist der mit Abstand höchste Wert aller Altersgruppen – eine gute Alternative zur Frühpension oder Arbeitslosigkeit.

Die Politik sucht aber Wunderwuzzis. Sie sollen: Viel arbeiten, am besten Vollzeit, damit der Euro fließt, auch in die Staatskasse, um die gesamtgesellschaftlichen Ausgaben zu finanzieren. Ansonsten fehlt Geld für das Sozialsystem, für die Pensionen und die Infrastruktur. Gleichzeitig soll sich das Volk ehrenamtlich engagieren. Menschen sollen Trainerinnen und Trainer im Fußballverein sein, Kindern ein Instrument beibringen, in der Kirche den Glauben praktizieren, Brände löschen, Sprachkurse für Flüchtlinge geben, die Lerncafés betreiben, Wanderwege pflegen, Nachtdienste der Rettung übernehmen. Und sie sollen natürlich ihre Kinder großziehen, ihnen beim Lernen helfen und sich – manchmal gleichzeitig – um ihre dementen Eltern kümmern. Nebenbei versteht sich. Damit der Staat all dies nicht tun muss. Dann soll bitte noch Zeit übrig bleiben, um zu konsumieren – schließlich muss die Konjunktur anspringen. Aber bitte solidarisch.

77.500 Vorarlbergerinnen und Vorarlberger sind unter 18 Jahren und müssen betreut werden. Fast 40.000 Vorarlbergerinnen und Vorarlberger pflegen ihre Angehörigen zu Hause. Nur wer pflegt und betreut, darf laut Politik Teilzeit arbeiten. Alle anderen sollen sich bitte aus der Hängematte begeben. Die Politik vergisst: Es gibt 5540 Vereine im Land. 41 Prozent der Vorarlbergerinnen und Vorarlberger engagieren sich ehrenamtlich.

Teilzeitarbeiterinnen und -arbeitern mangelnde Solidarität zu unterstellen, ist jedenfalls ein starkes Stück.