Treibstoff für den Wahlkampf
Zumindest dem von den Medien vermittelten Eindruck nach werden in unserer Gesellschaft Auseinandersetzungen gewalttätiger und die Zündschnüre immer kürzer. Ein wichtiges Gegenbeispiel ist die Stimmung bei der jüngsten Fußballeuropameisterschaft. Trotz emotional naturgemäß aufgeheizter Stimmung blieb es im Großen und Ganzen bei sportlichen Auseinandersetzungen auf dem grünen Rasen.
„Biden müsste rasch für eine Alternative Platz machen.“
Auf der politischen Ebene wurde nach dem slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico nun Donald Trump Ziel eines Mordanschlages. Dass der Schütze ein registrierter Parteigänger von Trump war, wird diesen nicht daran hindern, das Attentat politisch auszuschlachten. Die Bilder mit dem verletzten Trump in Siegerpose sind Treibstoff für seinen Wahlkampf und bringen die Demokraten zusätzlich in Bedrängnis. Mit den jüngsten wirren Auftritten von Präsident Biden sind sie ohnedies schon gestraft genug. Dass Donald Trump als ausgesprochener Egomane kein Verantwortungsbewusstsein hat, ist spätestens seit dem Sturm auf das Kapitol hinlänglich bekannt. Wenn Joe Biden seiner Verantwortung, Trump als nächsten Präsidenten zu verhindern, gerecht werden wollte, müsste er rasch für eine Alternative Platz machen und nicht in Starrsinn verharren. Die Verantwortung für einen Präsidenten Trump kann er nicht auf die Wähler abschieben.
Untergegangen ist eine die nächste Präsidentschaft prägende jüngste Entscheidung des Supreme Court, des obersten Gerichts der USA. Mit der von Trump dort geschaffenen Mehrheit wurde festgelegt, dass ein Präsident bei der Wahrnehmung offizieller Aufgaben Immunität genießt und nicht gerichtlich verfolgt werden kann. Angesichts der Machtfülle des US-Präsidenten ist das ein für Demokratien völlig ungewohnter und gefährlicher Blankoscheck für einen völlig unkontrolliert agierenden Donald Trump.
Unsere Bundesverfassung hat hingegen ein ausgewogenes Machtverhältnis von Bundespräsident, Bundesregierung, Nationalrat und Verfassungsgerichtshof, das sich bisher bewährt hat – allerdings auch nur auf der Grundlage eines ausreichenden Verantwortungsbewusstseins aller Beteiligten. Der freiheitliche Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer ließ 2016 mit der Bemerkung aufhorchen, dass man sich noch wundern werde, was für den Bundespräsidenten alles möglich wäre. Wenn man alle mäßigenden Konventionen über Bord wirft, wäre tatsächlich viel Machtmissbrauch möglich. Man kann nur hoffen, dass uns nach der nächsten Bundespräsidentenwahl in vier Jahren die Probe aufs Exempel erspart bleibt.
Jürgen Weiss vertrat das Land als Mitglied des Bundesrates (ÖVP) zwanzig Jahre lang in Wien und gehörte von 1991 bis 1994 der Bundesregierung an.
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