Vizekanzler zur S18: “Es geht schneller und günstiger”

Politik / 18.07.2024 • 17:16 Uhr
Interview mit Vizekanzler Werner Kogler
Es gehe den Grünen nicht darum, jeglichen Straßenbau zu stoppen. VN/Steurer

Auf das ursprüngliche Projekt müssten die Lustenauer noch Jahrzehnte warten, sagt Kogler im VN-Gespräch. Was er von einer Westzulage für Bundesbedienstete in Vorarlberg hält und wie es um die möglich Nominierung von Magnus Brunner zum EU-Kommissar steht, wurde er ebenso gefragt.

Isabel Russ, Birgit Entner-Gerhold

Bregenz Werner Kogler hält nichts von der S18. Bis dieses hochrangige Straßenprojekt umgesetzt sei, könnte es noch Jahrzehnte dauern. Es sei sogar möglich, dass es gar nicht genehmigt werden könnte, sagt der Vizekanzler. Alternativen wären angesichts dessen sicher in Betracht zu ziehen. Mit den VN sprach Kogler außerdem über den künftigen EU-Kommissar, die Frage nach einer Westzulage und die Chancen der Grünen wieder Teil einer Regierung zu werden.

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler eckt in Vorarlberg regelmäßig bei der ÖVP an. Diese Woche wurde ein Papier bekannt, in dem ihr Ministerium Land und Asfinag vorschlägt, die S18-Pläne zu begraben. Landeshauptmann Markus Wallner hat in den Medien davon erfahren. Ist das der feine Umgang?

Kogler Ich kann nicht beurteilen, wer wo was erfahren hat, aber in der Sache ist mir die Thematik um die S18 vertraut. Dieses Projekt geistert seit Jahrzehnten herum, die meisten Jahre davon in einem Planungsstadium. Faktum ist, dass es immer noch keine Genehmigungssicherheit für die S18 gibt. Es könnte also passieren, dass dieses große Projekt, die hochrangige Version, nochmals Jahrzehnte dauert. Deshalb ist der Vorschlag einer schnelleren, günstigeren und naturschonenderen Lösung nachvollziehbar.  Natürlich geht es um beides, um Naturschutz und um Entlastung der Menschen in dichten Siedlungsgebieten. Das muss unter einen Hut zu bringen sein. Das heißt nicht – auch nicht aus grüner Sicht -, gar keine Straßen zu bauen. Es geht um echte praxistaugliche Lösungen.

2016 habe sich der Bund dazu verpflichtet, im Rheintal eine Autobahnverbindung zwischen Österreich und der Schweiz herzustellen. So argumentiert die Landesregierung.

Kogler Das ist aber kein Freibrief für eine Autobahntrasse durch ein Naturschutzgebiet und entlang von Siedlungen. Eine kleinere Variante ließe sich genauso rechtskonform herbringen, schneller, umweltfreundlicher und auch ohne besondere Kosten für das Land Vorarlberg.

Interview mit Vizekanzler Werner Kogler
Es könnte passieren, dass die Lustenauer Bevölkerung noch Jahrzehnte auf eine Entlastung warten müsse, wenn man auf die S18 setze. Es sei nicht einmal sicher, dass das Projekt genehmigt werde, hält Kogler fest. VN/Steurer

Kann ein Exportland wie Vorarlberg ohne hochrangigen Straßenanschluss zur Schweiz auskommen?

Kogler Es gäbe ja trotzdem einen Anschluss. Die Alternativvarianten enden ja nicht im Nix. Das halte ich für lösbar und ist einkalkuliert.

Haben Sie nicht die Sorge, dass die aktuelle Vorgehensweise zu viel Verunsicherung in der Schweiz auslöst?

Kogler Das Wichtigste ist, am Ende alles unter einen Hut zu kriegen. Ein wirkliches Projekt, das zur Entlastung der Bevölkerung beiträgt, das realisierbar ist – und in Vorarlberg ist das ein besonders gutes Argument -, das auch günstiger geht.

Es wirkt vom Timing her wie Wahlkampftaktik.

Kogler Ich halte es für eine logische Abfolge, dass es nun diesen Lösungsvorschlag gibt. Es geistern viele Straßenprojekte herum, die schon ewig im Bundesstraßengesetz verankert sind. Es ist gut, in Zeiten von verändertem Verständnis von Wirtschaft, Umwelt und Natur, diese zu prüfen. Es geht nicht darum, jeglichen Straßenbau zu stoppen, sondern um zeitgemäße Alternativen.

Haben Sie den Landeshauptmann am Rande der Festspiele gesprochen?

Kogler Ja, allerdings haben wir andere wirtschaftspolitische Themen besprochen beziehungsweise uns über europäische Fragen unterhalten. Die Frage der S18 ist wichtig für Lustenau, was auch die Volksbefragung vor Ort gezeigt hat, in der man sich gegen eine Schnellstraße durch das Naturschutzgebiet entschieden hat. Das ist jetzt nicht die europäischste Frage von allen.

Hat der Landeshauptmann die S18 nicht angesprochen?

Kogler Hat er nicht. Das muss er auch nicht extra bei mir ansprechen, weil es schon lange hin und her geht. Wir haben viele anderen Themen des Finanzausgleichs, der Gesundheits-, der Sozialpolitik besprochen, also Bereiche, in denen es enge Bund-Länder-Verflechtungen gibt.

Wie wahrscheinlich ist es denn, dass es in Vorarlberg noch einmal Schwarz-Grün geben wird?

Kogler Wenn das Wahlergebnis die mathematisch mögliche Mehrheit bringt, hat dieses Bündnis ganz gute Chancen. Mit dem vorangehenden Nationalratswahlkampf wird sich das eine Spur zuspitzen: Geht es weiter Richtung Zukunft mit Schwarz-Grün oder zurück in die Vergangenheit mit Schwarz-Blau? Diese Frage wird einen mobilisierenden Effekt haben. Ich glaube, dass da viel drinnen ist.

Man merkt sowohl auf Bundesebene als auch auf Landesebene, dass die Grünen mit der ÖVP auf Konfrontation gehen. Wie viel ist möglich, um den Bogen nicht zu überspannen?

Kogler Es gibt eine ausreichend gemeinsame Basis. Wer hat sich denn im Juli/August 2019 vorstellen können, dass es Türkis-Grün geben kann? Niemand. Es geht jetzt natürlich darum, dass die Unterschiede in der Phase des Wahlauseinandersetzung stärker rauskommen.

Interview mit Vizekanzler Werner Kogler
Das Interview mit den VN fand im Wirtshaus am See in Bregenz statt. VN/STeurer

ÖVP und Grüne ringen immer noch um die Frage, wer EU-Kommissar wird. Wird es Othmar Karas? Oder Magnus Brunner?

Kogler Das kann ich nicht prognostizieren. Vorstellbar sind mehrere Kandidaten in Österreich. Othmar Karas ist jedenfalls einer der Bestvernetzten und bringt auf europäischer Ebene die größten Erfahrungen mit. Aber es ist eine gemeinsame Entscheidung der Bundesregierung und anschließend im Hauptausschuss des Nationalrates.

Je länger die Entscheidung dauert, desto mehr Nachteile könnten damit einhergehen.

Kogler Man muss die Kirche im Dorf lassen. Es haben die wenigsten der EU-Mitgliedsstaaten bereits ganz fix ihre Kandidatinnen und Kandidaten vorgeschlagen. Richtig ist aber, dass in diesen Tagen Bewegung reinkommen wird, weil Ursula Von der Leyen am Donnerstag wieder zur Kommissionspräsidentin gewählt worden ist.

Sie glauben, dass es kommende Woche eine Einigung in Österreich geben wird?

Kogler Ich gehe davon aus, dass Bewegung reinkommt, weil die Kommissionspräsidentin gewisse Wünsche an die Mitgliedsstaaten adressiert. Was das für unsere Lösungen bedeutet, kann ich noch nicht sagen.

Sind Othmar Karas und Magnus Brunner die aussichtsreichsten Kandidaten?

Kogler Da muss man aufpassen. Die Geschichte zeigt, dass bei solch gelagerten Personalentscheidungen, diejenigen, die als aussichtsreich gehandelt werden, manchmal alleine deshalb möglicherweise nicht zum Zug kommen. Es wird eine Lösung geben. 

Die EU-Kommission boykottiert die ungarische EU-Ratspräsidentschaft. Der ÖVP-Nationalratsabgeordnete Franz Hörl hat die Grünen als untragbar bezeichnet, als Johannes Rauch erklärte, dass er sich dem Boykott anschließen wird. Verstehen Sie da die Aufregung in der ÖVP?

Kogler Meines Wissens hat sich der Abgeordnete Hörl noch viel lauter darüber aufgeregt, dass er bald kein Abgeordneter mehr sein wird. Ansonsten schätze ich die Gesprächsbasis mit dem Herrn Hörl, weil es da immer sehr robust zugeht. Seine Aussagen sind jetzt aber nicht handlungsleitend. Natürlich: Es gibt unterschiedliche Einschätzungen zwischen ÖVP und Grünen, was die Rolle von Herrn Orban angeht. Das Modell Ungarn bringt ökonomisch, sozial und europapolitisch eigentlich ein Niedergangsszenario.

Interview mit Vizekanzler Werner Kogler
Was die Bestellung des künftigen EU-Kommissars betrifft, hält sich Kogler bedeckt. VN/Steurer

Die Kritik an Orban entstand wegen seiner „Friedenstour“ durch Russland und China.

Kogler Herr Orban hat den Vorsitz unter den EU-Regierungschefs turnusmäßig übernommen, was Null mit der Außenvertretung der Union zu tun hat. Dann startet er eine Reise, die er scheinheiligerweise auch noch als Friedenstour ausschildert. Das geht nicht. Natürlich ist es wichtig, dass Gesprächskanäle auch mit Wladimir Putin offenbleiben. Das passiert auch, wenn man etwa an die diskreten Kontakte von wichtigen EU-Politikern wie Olaf Scholz und Emanuel Macron denkt. Orban ist ein falscher Makler, weil er im Wesentlichen für seine eigenen Interessen arbeitet. Er will mit Putin gemeinsame Sache gegen die Europäische Einigung machen.

Aber am Ende werden jetzt die grünen Minister nicht nach Ungarn fahren und die ÖVP-Minister schon?

Kogler Das kann die Konsequenz sein. Für die Grünen Minister und Ministerinnen kann ich sagen, dass sie nicht an den informellen Treffen in Ungarn teilnehmen werden.

Sie sind Beamtenminister. Der Landeshauptmann hat im VN-Sommergespräch eine Westzulage für Polizistinnen und Polizisten gefordert. Der Innenminister meinte, das liege in ihrer Kompetenz. Ist sowas für Sie denkbar?

Kogler Wenn man sich dieses verständliche Anliegen ansieht, sieht man, dass wir aufgrund der Bundesverfassung den Spielraum gar nicht haben, die unterschiedlichen Preisniveaus über die Gehaltsstruktur zu berücksichtigen. Aber wir müssen insgesamt schauen, dass das Gehaltsniveau im öffentlichen Dienst ansprechend ist, weil wir in heftiger Konkurrenz zur Privatwirtschaft stehen.

Der Landeshauptmann geht bei den Landesbediensteten mit einem Angebot von drei Prozent Erhöhung in die Lohnverhandlungen. Ist das genug?

Kogler Es hat jeder seine eigene Gesprächstaktik. Ich kündige diese Dinge nicht im Voraus an, sondern suche zuerst das Gespräch mit dem Finanzminister und den Gewerkschaften. Wir werden nicht nur die Inflationsentwicklungen berücksichtigen, wir müssen auch schauen, wie die Abschlüsse bei den Privaten sein werden. Denn was haben wir davon, wenn die Abschlüsse dort zum Beispiel zwischen fünf und sechs Prozent liegen, der Landeshauptmann dann mit zwei oder drei Prozent daherkommt und am Schluss gibt’s noch weniger Pädagoginnen und Pädagongen oder Pflegekräfte?

Das AMS-Budget wird gekürzt, ist das mit Blick auf den Arbeitsmarkt sinnvoll?

Kogler Die Budgets für 2025 und darüber hinaus werden erst verhandelt. Das ist dann nochmals bedarfsabhängig anzuschauen. Und das wird Gegenstand der Verhandlungen der nächsten Regierung sein.

Sie würden die Kürzung zurücknehmen?

Kogler Es ist ja eben noch nichts gekürzt. Natürlich muss man bewerten, was in der aktiven Arbeitsmarktpolitik am wichtigsten ist und immer auf aktuelle Situationen reagieren.

In Ihrer Festspieler-Ansprache haben Sie gesagt, dass es ist nie zu spät ist, gescheiter zu werden. In welchen Bereichen haben Sie dazugelernt?

Kogler Wenn man viele Entscheidungen oft in kurzer Zeit treffen muss, muss man in der Bewertung von Kompromissen großzügiger sein. Ich habe dazu gelernt, dass das Ausverhandeln die wirkliche Arbeit und der wirkliche Aufwand ist und man sollte auch ein wenig präziser bei seiner Wortwahl sein.

Sie würden das Wort „Gefurze“ nicht mehr sagen, das Sie rund um die Berichterstattung über Lena Schilling verwendet hatten?

Kogler Das habe ich jetzt gar nicht mehr gemeint. Es ist generell so, dass man auf seine Wortwahl achten muss, da kann ich mich auch selbst an der Nase nehmen und mich auch verbessern.

Interview mit Vizekanzler Werner Kogler
Kogler hofft auf eine weitere Regierungsbeteiligung der Grünen. Auch Johannes Rauch solle dabei eine Rolle spielen. VN/Steurer

Wollen Sie Vizekanzler bleiben?

Kogler Ich will, dass die Grünen in den nächsten Sondierungen und Regierungsverhandlungen eine Rolle spielen. Dazu muss ich nicht das Amt des Vizekanzlers innehaben, aber dass die Grünen in der nächsten Regierung wieder Verantwortung übernehmen, halte ich für entscheidend.

Johannes Rauch sollte dann auch wieder Teil des Teams sein?

Kogler Ja sicher, er wird jedenfalls weiter eine Rolle spielen.