Christian Rainer

Kommentar

Christian Rainer

Was hat den Präsidenten in Bregenz „endgenervt“?

Politik / 19.07.2024 • 16:25 Uhr

Selten werden in Österreich gute Reden gehalten. Es fehlt an der Liebe zur Sprache, am Willen zum Diskurs, am Mut zum Inhalt. Ein Auftritt in Deutschland erfordert Vorbereitung und Disziplin, in Österreich geht es auch extemporierend und mit zwei Achterln Veltliner vorab als Brandbeschleuniger. (Und es geht auch ohne Orthografie und ohne Grammatik, wie die Postings von Lena Schilling auf X neuerdings beweisen. Aber das nur nebenbei.) Und weil die guten Reden so selten sind, blickt man im Sommer gespannt nach Bregenz und nach Salzburg: Die Eröffnungsworte der Politiker und Politikerinnen bei den Festspielen da wie dort heben sich stets ab von dem Kauderwelsch, das uns andernorts als Wasserfolter verabreicht wird.

Ich erinnere mich zum Beispiel noch an die Ansprache von Landeshauptmann Wilfried Haslauer Monate nach Beginn des Ukraine-Krieges in Salzburg, in der er das Foto eines Mädchens im roten Kleid inmitten von Ruinen zum Leitmotiv machte, ein Kleid, das jenes ukrainische Mädchen zu ihrem Maturaball tragen wollte, aber wegen des Krieges nicht mehr tragen konnte. (Leider formte Haslauer wenig später und ohne Not eine Koalition mit der FPÖ, mit jener FPÖ, die sich nur unter Qualen dazu durchringen kann, Russland als Verursacher dieses Krieges zu benennen.)

Ich bin vom Thema abgekommen und verschwende Zeilen. Bitte verzeihen Sie mir! Also Bregenz: Alexander van der Bellen eröffnete vergangene Woche die Festspiele, und er enttäuschte nicht. Wie immer verstand er es trefflich, anscheinend (oder scheinbar) spontan gefundene Gedanken in das wohlvorbereitete Skript einzuweben. Wie immer verstand er, dass eine Rede nur einen, maximal zwei Gedanken nachhaltig transportieren kann: „Endgenervt“ sei das Land von einem Diskurs, bei dem alles in Schubladen gesteckt werde, „entweder schwarz oder weiß, groß oder klein, gut oder böse“. In dieser Welt sei man „entweder oder“. Mit einer rhetorischen Finte verbarg der Bundespräsident, dass er eigentlich nicht das Land „endgenervt“ sieht, sondern er selbst von der Spaltung der Bevölkerung durch allzu einfache Antworten angewidert ist. 

Van der Bellen hält diese Situation für gefährlich, und er blickt dabei wohl mit Unbehagen in Richtung Herbst. Da wird er im Gefolge der Nationalratswahlen akrobatisch mit Parteien hantieren müssen, die er für mehr (ÖVP und SPÖ) oder weniger (FPÖ) geeignet hält, die Republik zu regieren. Wahrscheinlich graut im schon heute vor dieser Aufgabe. Vielleicht erinnert er sich, wie Thomas Klestil 1999 daran scheiterte, jene ungewollte Partei von der Regierungsverantwortung fernzuhalten. Die Freiheitlichen waren damals als Zweitplatzierte die heimlichen Wahlsieger, 2024 werden sie wohl Erstplatzierte sein. Und ich wage weiter zu interpretieren: Van der Bellen wollte in Bregenz wohl auch zum Ausdruck bringen, dass er jene Partei, die FPÖ, beim Schubladisieren, bei den einfachen Antworten, bei der Spaltung des Landes in der Verantwortung sieht.

Hat der Bundespräsident das wirklich so gemeint? Wenn er es so gemeint hat, dann war auch das eine zu einfache Antwort.