Wahlmotive der Bürger
Neun Parteien haben es also geschafft, bundesweit auf dem Stimmzettel zur Nationalratswahl zu stehen. Durch die aktuelle Umfrage mehrerer Zeitungen, darunter auch die VN, wissen wir, dass – Stand heute – die FPÖ – mit 27 Prozent als klarer Sieger durchs Rennen geht, um Platz zwei matchen sich ÖVP und SPÖ. Zu fast demselben Ergebnis kommen alle Umfragen der letzten Wochen (ÖVP knapp vor der SPÖ mit 23 zu 21 Prozent). Durch die VN-Umfrage wissen wir auch, was das Wahlvolk am meisten interessiert. 26 Prozent nennen das zentrale FPÖ-Thema Migration und Asyl. Da mag sich VP-Kanzler Nehammer noch so sehr für Verschärfungen stark machen, die FPÖ hatte, schon 2015, den Weitblick für dieses Thema. Die aktuelle Diskussion über 4.500 Euro Sozialhilfe (netto) für eine neunköpfige syrische Familie in Wien, plus Vergünstigungen für Öffis oder Rezeptgebühren, ist für die FPÖ wie ein Elfmeter ohne Tormann, zumal der Wiener Sozial-Stadtrat Hacker diese Summe vehement verteidigt und in der ZiB 1 von Existenzängsten dieser Familien gesprochen hat. In den anderen Bundesländern bekäme diese Familie deutlich weniger. In Vorarlberg 2212 Euro pro Monat, plus den Wohnbedarf (gedeckelt mit 1240 Euro), zusammen also 3452 Euro, wobei die Wohnkosten als Sachleistung ausbezahlt werden, mit direkter Überweisung der Kosten an den Vermieter (Quelle: Kronenzeitung).
“Durch die VN-Umfrage wissen wir auch, was das Wahlvolk am meisten interessiert. 26 Prozent nennen das zentrale FPÖ-Thema Migration und Asyl.”
Thema Nummer zwei mit 24 Prozent: Die steigenden Preise. Erstaunlich ist, dass das im Wahlkampf fast keine Rolle spielt. Die ÖVP hat wieder ein staatliches Förderprogramm für die Großelternkarenz propagiert. Kanzler Nehammer hat soeben gesagt, in einem APA-Interview, dass er ein Sparpaket nach der Wahl nicht für notwendig hält. Wie verträgt sich das mit den von der EU-Kommission geforderten deutlichen Einsparungen für die künftige Regierung, zwischen 2025 und 2028 insgesamt 11,6 Milliarden Euro? Wie verträgt sich das mit der Forderung führender Wirtschaftsforscher (IHS, WIFO, Fiskalrat), die von der nächsten Regierung Sparsamkeit fordern? Wie verträgt sich das mit der Haltung von (Noch-) Finanzminister Brunner („Die neuen Fiskalregeln müssen ein Ansporn für alle EU-Mitgliedsstaaten sein, die Haushalte nach den Krisenjahren wieder sukzessive in Ordnung zu bringen. Dem wird sich auch eine neue Bundesregierung nicht entziehen können.“)?
Vom Sparen gar nichts hält auch SPÖ-Chef Babler. Er hat in einem offenen Brief an die Parlamentsparteien ein gemeinsames Versprechen gefordert, jedem Sparpaket und Einschnitten bei den Pensionen eine Absage zu erteilen. Er ignoriert dabei auch die Meinung der Bevölkerung. In einer aktuellen Umfrage des STANDARD befürworten fast zwei Drittel, dass das Budget ausgabenseitig saniert werden sollte. Nur fünf Prozent (!) sprechen sich für eine rein einnahmenseitige Budgetsanierung aus, also für neue Steuern. Die von Babler geforderte Erbschaftssteuer wird von 56 Prozent abgelehnt. Erbschaftssteuern gibt es in mehreren Ländern. Dort aber ist der Ertrag gemessen am Aufwand eher bescheiden. Doch Babler will, dass die SPÖ bei einem Parteitag im November eine Erbschafts- und Schenkungssteuer beschließt. Dann ist sie möglichweise in Verhandlungen mit Koalitionspartnern wie ÖVP und Neos, die diese Steuern vehement ablehnen. Wie er da wohl die Kurve kratzt? Wenn er dann noch im Amt ist. Die „Kronenzeitung“ berichtet von einem Geheimplan, wonach maßgebliche Funktionäre der Wiener SPÖ schon an seiner Entfernung gleich nach der Wahl arbeiten. Genau jene Wiener SPÖ, die Babler zum Sieg über Doskozil verholfen hat.
Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landesdirektor, lebt in Feldkirch.
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