Eine Überreaktion namens Taylor Swift
Drei Taylor Swift-Konzerte abgesagt und die Welt steht kopf. Zum Beispiel: Vergangene Woche saß ich am Tisch eines ehemaligen Spitzenpolitikers (generisches Maskulinum – kann auch eine Frau gewesen sein), der ehedem für seine, nennen wir es so, ruppigen Umgangsformen bekannt gewesen war. Über die Jahre und in der Rente hatte er sich jedoch zu einem nachgerade friedfertigen Exemplar entwickelt. Doch siehe da: Jenes Exemplar explodierte wie zu seinen besten Zeiten, schimpfte mit Worten, die Richard Lugner die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätte (Der Gott der Seitenblicke, hab ihn selig!) über Menschen im Allgemeinen und Journalisten im Besonderen, die Zweifel an der Notwendigkeit von totaler Überwachung aller Messenger-Dienste angemeldet hatten. Etwas zivilisierter äußert sich Daniel Kosak, der stets zivilisierte Sprecher des Bundeskanzlers auf X: „Ohne Messenger-Überwachung (in diesem Fall durch ausländische Dienste) wäre man dem Attentäter nicht auf die Spur gekommen. Heimische Behörden hätten nicht mitlesen dürfen.“ Und über mich, Ihren Kommentator, darf ich auf X in ähnlichem Zusammenhang wieder weniger zivilisiert lesen: „Die nächste Charakterdrecksau kriecht aus ihrem Versenkungsloch.“ Diesfalls immerhin keine Morddrohung, man muss ja bescheiden bleiben.
Die Welt steht kopf. Versuchen wir, sie wieder geradezurichten! Zunächst: Können Sie Beispiele von Großveranstaltungen nennen – Konzerte, Fußballspiele, Karnevalparaden –, die wegen Terrordrohungen abgesagt wurden? Mir fallen nur drei Beispiele ein: die drei Taylor Swift-Konzerte in Wien. Ich ziehe ChatGPT zurate – und ChatGPT ist ratlos: ein U2-Konzert in Stockholm 2015 und ein Fußballspiel, Deutschland gegen die Niederlande, auch 2015. Der kleine Unterschied: In diesen Fällen gab es anonyme Drohungen ohne Täter. In Österreich hingegen gab es gefasste Täter ohne Drohungen. Könnte es also sein, dass die Absage eine Überreaktion war? Könnte sein.
Und dann: Wer die Medien liest, muss zu dem Schluss kommen, dass hier ein globales Islamistisches Netzwerk ausgehoben wurde, das über ein riesiges Arsenal an Waffen und Sprengmitteln verfügte. Soweit inzwischen bekannt geht es allerdings um einen einzelnen 19-jährigen Burschen mit möglicherweise untauglichen Haushaltschemikalien, der vielleicht mit einem Messer oder dem Auto der Eltern vor einem Stadion in Wien Menschen töten wollte. Das könnte er und jeder andere freilich auch zu jeder Zeit in jeder Fußgängerzone oder jedem Kino des Landes. Übergroße Aufregung um eine in Wahrheit etwas kleinere Bedrohungslage? Könnte sein.
Und schließlich: Nun wird also über eine massive Ausweitung der Überwachungsmöglichkeiten der Polizei und Geheimdienste gesprochen. Der Innenminister sieht seine Chance. (Und er vergisst, dass die ÖVP in eigener Sache eben noch gegen Zufallsfunde bei Auswertungen von Chatverkehr gewettert hatte.) Kaum jemand wagt es, dagegen zu argumentieren. Drei Taylor Swift-Konzerte! Islamistischer Terroranschlag vereitelt! Es mag ja sein, dass wirklich mehr erlaubt sein soll. Aber wie hätten wir reagiert, wenn die Warnungen von einem US-Geheimdienst gekommen wären, der Donald Trump untersteht? Ich mag generell keine Anlassgesetzgebung. Anlassgesetze sind immer von emotionaler Überreaktion und damit vom Schielen auf potenzielle Wähler getrieben. Man möge sich beruhigen und das Thema einer neuen Regierung überlassen! Wir stehen ja mitten im Wahlkampf.
Kommentar